Die sogenannte „Rosenburg“ ist ein Landhaus im neoromanischen Stil am Venusberg in Bonn-Kessenich, welches sich der Bonner Professor Georg August Goldfuß 1831 hatte errichten lassen. Von 1950 bis 1973 diente die „Rosenburg“ als Sitz des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) und somit als Arbeitsort für viele Verwaltungsjuristen, die die junge Bundesrepublik maßgeblich mitgestalteten. Viele von ihnen waren bereits vor 1945 in der Justiz oder Justizverwaltung (hier v. a. im Reichsjustizministerium) tätig.
Im Januar 2012 setzte die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine „Unabhängige Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ (UWK) zur Untersuchung der personellen und institutionellen Kontinuitäten ein. Die UWK sollte den Umgang des Bundesministeriums der Justiz mit der NS-Vergangenheit im eigenen Haus sowie die inhaltlichen Auswirkungen auf das Handeln des Ministeriums untersuchen.
Die UWK wurde von Herrn Professor Dr. Manfred Görtemaker (Zeithistoriker, Universität Potsdam) und Herrn Professor Dr. Christoph Safferling (Strafrechtslehrer, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) geleitet. Dem interdisziplinären Team gehörten weitere namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an.
Erforscht wurde, wie groß der Personenkreis war, der in der NS-Zeit das System aktiv stützte, und nach 1949 in den Dienst des Ministeriums übernommen wurde. Zudem wurde herausgearbeitet, welche Kriterien und Maßstäbe bei der Einstellung sowie der Beförderung angelegt wurden. Dafür wurde der UWK uneingeschränkter Zugang zu allen Personalakten des Untersuchungszeitraums ermöglicht. Daneben wurde etwa die Rolle des Ministeriums bei der Amnestierung von NS-Tätern sowie der verschleppten Rehabilitierung von Opfern der NS-Justiz untersucht. Der Abschlussbericht der Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission wurde am 10. Oktober 2016 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Führungskräfte zwischen 1949 bis 1973
Von den 170 untersuchten Juristen des Leitungspersonals im Ministerium, das heißt Abteilungsleiter, Unterabteilungsleiter und Referatsleiter, waren...
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53%
ehemalige Mitglieder der NSDAP
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20%
ehemalige Mitglieder der SA
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3.5%
ehemalige Mitglieder der SS
Der Endbericht der Studie
Die Akte Rosenburg
Die Unabhängige Wissenschaftliche Kommission (UWK) veröffentlichte ihre Ergebnisse am 10. Oktober 2016: Von den 170 untersuchten Juristen (untersucht wurden Akten von Mitarbeitern ab dem Geburtsjahrgang 1927, die von 1949 bis 1973 in Leitungspositionen des Ministeriums tätig waren) hatten 90 der NSDAP und 34 der Sturmabteilung (SA) angehört. Mehr als 15% waren vor 1945 im NS-Reichsjustizministerium tätig.
Der Endbericht der UWK ist im Jahr 2016 als Buch unter dem Titel „Die Akte Rosenburg – Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit“ im C.H. BECK Verlag erschienen. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse finden Sie hier.
Beispielhafte Ergebnisse
Franz Maßfeller
vor 1945 im Reichsjustizministerium als Referatsleiter für Familien- und Rasserecht zuständig, Teilnehmer an den Folgebesprechungen zur Wannsee-Konferenz und Mitkommentator des sog. „Ehegesundheits- und Blutschutzgesetzes“ (Gütt, Linden, Maßfeller 1936), der nach 1945 bis 1960 als Ministerialrat und Leiter des Referats Familienrecht im Bundesjustizministerium tätig und u.a. für das „Gleichberechtigungsgesetz“ von 1958 verantwortlich war.
Eduard Dreher
vor 1945 Erster Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck, in dieser Funktion Mitwirkender an zahlreichen Todesurteilen - und dann von 1951 bis 1969 im Bundesministerium der Justiz tätig, zuletzt als Ministerialdirigent, in dessen Verantwortungsbereich das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz aus dem Jahre 1968 fällt, das u. a. zu einer vom Gesetzgeber wohl nicht gewollten, versteckten Amnestie („kalte Amnestie“) zahlreicher in das NS-Unrecht verstrickter Personen führte.
Max Merten
Kriegsverwaltungsrat im besetzten Griechenland und an Zwangsmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung (Umsiedlung, Ghettoisierung, Vermögensentziehung, Deportation) beteiligt. Im Jahr 1952 für neun Monate Leiter des Referats Zwangsvollstreckung im BMJ. Nach 1945 in Griechenland Ermittlungen wegen zahlreicher Kriegsverbrechen; Verhaftung 1957, Verurteilung 1959 zu 25 Jahren Haft, im gleichen Jahr Überstellung nach Deutschland auf Betreiben des BMJ und des Bundeskanzleramts und sodann Haftentlassung unter Auflagen.
Walter Roemer
Ministerialdirektor und Leiter der u. a. für das Verfassungsrecht zuständigen Abteilung Öffentliches Recht, vor 1945 Staatsanwalt am Landgericht München I und dort an der Vollstreckung von diversen Todesurteilen beteiligt, so auch an der Urteilsvollstreckung gegenüber Mitgliedern der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“.
Hans Gawlik
Leiter der Zentralen Rechtsschutzstelle im Bundesministerium der Justiz, vor 1945 Staatsanwalt am Sondergericht Breslau, Beteiligter an zahlreichen Todesurteilen und nach 1945 zunächst Verteidiger von Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS und von Einsatzgruppenführern in den Nürnberger Prozessen.
Ernst Kanter
der vor 1945 als Generalrichter im besetzten Dänemark an mindestens 103 Todesurteilen mitwirkte und bis 1958 ebenfalls als Ministerialdirigent und sodann als Senatspräsident am Bundesgerichtshof tätig war.
Die Ergebnisse des Rosenburgprojekts werden auch in einer Wanderausstellung präsentiert. Diese Ausstellung - „Die Rosenburg – Das Bundesjustizministerium im Schatten der NS-Vergangenheit“ - ist seit Sommer 2017 an verschiedenen Orten im In- und Ausland zu sehen. Ziel der Wanderausstellung ist es, die Erkenntnisse der „Akte Rosenburg“ neben Juristinnen und Juristen auch einem breiten Publikum zugänglich zu machen und dadurch das Bewusstsein für das historische Unrecht zu schärfen.
Folgerungen aus der Rosenburgforschung
Der kritische Diskurs zu den Ergebnissen der Rosenburgforschung findet durch das BMJ nach wie vor statt. Ein Fokus liegt dabei darauf, wie die junge Juristengeneration gestärkt werden kann, die Werte des Grundgesetzes in der täglichen Arbeit zu leben und diese auch zu verteidigen. Konkrete Maßnahmen sind:
Juristenausbildung
Seit dem 1. Januar 2022 ist die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht und dem Unrecht der SED-Diktatur verpflichtender Bestandteil des Studiums der Rechtswissenschaften sowie des juristischen Vorbereitungsdienstes. Die Rosenburgforschung beförderte diese Erweiterung der Juristenausbildung. Bezweckt ist die aktive Beschäftigung angehender Juristinnen und Juristen mit den ethischen Grundlagen des Rechts und der Befähigung zu dessen kritischer Reflexion. Angehende Juristinnen und Juristen sollen darin geschult werden, das positive Recht, vor allem aber die Rechtsanwendung kritisch zu reflektieren. Dabei sollen sie erkennen, dass die rein handwerklichen Fähigkeiten von Juristinnen und Juristen sich den jeweiligen politischen Gegebenheiten anpassen und damit auch der Herrschaftssicherung und Stabilisierung eines Unrechtssystems dienen können.
Fortbildungen
Das Bundesministerium der Justiz veranstaltet regelmäßig interne Schulungen zur Information über die Ergebnisse der Rosenburgforschung. Teil der Schulungen sind auch Diskussionen über die Bedeutung der Erkenntnisse für das juristische Berufsethos. Neue Kolleginnen und Kollegen werden bereits im Rahmen des Onboarding-Prozesses durch die Erkenntnisse des Rosenburgprojekts für die Eigenverantwortlichkeit und das professionelle Selbstverständnis im BMJ sensibilisiert.
Um die Arbeit der Kommission transparent zu gestalten, wurde die Arbeit der UWK (in der Zeit von 2012 bis 2017) durch regelmäßige Symposien zur Vorstellung von Zwischenergebnissen und zur Gestaltung eines kritischen Diskurses begleitet. Dieses Konzept der public history ermöglichte die Auseinandersetzung über den begrenzten Kreis der Wissenschaft hinaus. Sehr bewusst wurden dafür unter anderem Tagungsorte gewählt, an denen historische Anknüpfungspunkte für die NS-Diktatur oder für die juristische Aufarbeitung der NS-Diktatur durch die Alliierten bestehen.
Die Unabhängige Wissenschaftliche Kommission zum Umgang des Bundesjustizministeriums mit seiner NS-Vergangenheit, das „Rosenburg-Projekt“, erforschte den Umgang des Ministeriums mit der NS-Vergangenheit in den Anfangsjahren der Bundesrepublik.
Broschüren, 25. April 2024,
Verfügbar auf: Deutsch
The Nazi dictatorship committed unthinkable crimes and brought great suffering upon Germany and the world. The collaboration of the judicial system and lawyers with the Nazi regime has meanwhile been well documented in academic studies. Previously, however, it had been an open secret that many lawyers who were guilty of crimes returned to West German government service after the foundation of the Federal Republic of Germany in 1949.
Broschüren, 01. April 2017,
Verfügbar auf: Englisch
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