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„Waffenlieferungen können nicht dazu führen, dass man Kriegspartei wird.“

Schwerpunktthema: Welt am Sonntag

Justizminister Buschmann sieht eine deutsche Führungsrolle bei der Ermittlung russischer Kriegsverbrechen. Er hält es für möglich, dass mit der Flüchtlingsbewegung Menschen eingeschleust werden, die Deutschland „destabilisieren“ sollen: Man sei „hilfsbereit, aber wachsam“.

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WELT AM SONNTAG: Herr Buschmann, können Waffenlieferungen völkerrechtlich als Kriegseintritt betrachtet werden?

Marco Buschmann: Die UN-Charta verbietet Krieg grundsätzlich, mit einer Ausnahme: dem Verteidigungskrieg. Einen solchen führt die Ukraine. Wenn sie also ihr legitimes Selbstverteidigungsrecht ausübt, kann eine Unterstützung durch Waffenlieferungen nicht dazu führen, dass man Kriegspartei wird. Dies ist nicht nur meine persönliche Ansicht, sondern die der Bundesregierung.

WELT AM SONNTAG: Offenbar begehen die Russen in der Ukraine schwere Kriegsverbrechen. Was kann Deutschland tun, um bei der Beweissicherung zu helfen?

Buschmann: Deutschland ist eine der führenden Nationen bei der Verfolgung von Verstößen gegen das Völkerstrafrecht. Wir führen etwa auch ein umfangreiches Strukturermittlungsverfahren gegen syrische Kriegsverbrechen, aus dem heraus bereits mehrere Verfahren gegen namentlich identifizierte Kriegsverbrecher hervorgegangen sind. Wir haben eine Vorreiterrolle bei der Anwendung des Weltrechtsprinzips. Danach haben wir Täter vor Gericht gestellt, die weder Deutsche waren noch ihre Straftaten in Deutschland begangen haben.

Und wir gehören mit zu den weltweit Ersten, die auch jetzt systematisch Beweise für Kriegsverbrechen in der Ukraine ermitteln und sichern. Wir rufen alle ukrainischen Geflüchteten auf, dass sie sich an alle Polizeidienststellen wenden können, wenn sie Opfer oder Zeugen von Kriegsverbrechen geworden sind.

Die Auswertung der so gewonnenen Erkenntnisse erfolgt durch das Bundeskriminalamt im Rahmen eines Strukturermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts. Darüber hinaus unterstützen wir mit voller Kraft den Internationalen Strafgerichtshof, dem wir zusätzliches Geld und Personal zur Verfügung stellen.

WELT AM SONNTAG: Womit müssen Beteiligte an Kriegsverbrechen in Deutschland rechnen?

Buschmann: Wenn wir russischer Staatsbürger habhaft werden und sie aufgrund von Beweisen anklagen können, dann werden wir sie gemäß dem Weltrechtsprinzip vor Gericht bringen – genauso wie wir es bei syrischen Folterknechten getan haben.

WELT AM SONNTAG: Würde Putin verhaftet werden, wenn er in Berlin zu Regierungsgesprächen weilt?

Buschmann: Für aktive Staatsoberhäupter gilt für die Strafverfolgung vor deutschen Gerichten, anders als vor dem Internationalen Strafgerichtshof, eine Ausnahme. Das internationale Recht sieht vor, dass gegen sie nicht ermittelt werden darf. Diesen diplomatischen Schutz gibt es aber nicht für Kommandeure, die zum Beispiel Befehle erteilt haben, keine Gnade gegen Zivilisten walten zu lassen und damit gegen das Völkerstrafrecht verstoßen.

WELT AM SONNTAG: US-Präsident Joe Biden spricht von einem Völkermord in der Ukraine. Der Nachweis dieses Verbrechens ist aber schwierig, oder?

Buschmann: Es besteht kein Zweifel, dass widerliche und schreckliche Untaten in der Ukraine durch russische Soldaten verübt werden. Völkermord ist eines der Kernverbrechen des Völkerstrafrechts. Dort müsste in der Absicht gehandelt worden sein, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.

Ob juristische Beweise dafür vorliegen, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Aber ich denke, dass Präsident Biden hier weniger eine juristische Beurteilung im technischen Sinne als vielmehr eine klare politische Botschaft aussprechen wollte.

WELT AM SONNTAG: Lassen sich mit dem Regime Putin noch verlässliche Vereinbarungen treffen?

Buschmann: Das weiß niemand. In einer Kriegssituation wird immer taktiert, auch mit Gesprächsangeboten von denen man nicht weiß, ob sie dem Versuch des Gesprächs oder dem Zeitgewinn dienen sollen. Aber muss man ja zugleich auch weiter versuchen, irgendwie eine Lösung zur Beendigung dieses Konflikts zu finden.

Unsere Leitlinie ist dabei ganz klar: Es geht um das Überleben der Ukraine. Daher muss sie am Ende sagen, welchem Gesprächsangebot, welchem Kompromissangebot, welchem Vertragsangebot sie nähertreten möchte oder nicht. Da können wir politisch beraten. Zentral aber ist: Niemand anderes verhandelt über die Ukraine als die Ukraine selbst.

WELT AM SONNTAG: Gehen Sie davon aus, dass mit den Flüchtlingen auch russische Kriegsverbrecher einreisen?

Buschmann: Wenn ich die vielen Menschen sehe, die in Not aus ihrer Heimat fliehen müssen, weil sie dort kriegerisch angegriffen werden, sehe ich zuerst Menschen, die Schutz und Unterstützung verdienen. Aber natürlich müssen wir die Augen offenhalten.

Niemand kann wissen, wer sich da daruntermischt. Umso wichtiger ist, dass wir die Menschen registrieren und genau wissen, wer hier ist. Wenn wir den Eindruck gewinnen, dass es Personen gibt, die sich unter falschen Namen und Tatsachenbehauptungen hier einschleichen, werden wir diesen Sachverhalten nachgehen und diese Leute gegebenenfalls zur Rechenschaft ziehen.

WELT AM SONNTAG: Kürzlich gab der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) den Rat, die Geflüchteten nach den Erfahrungen von 2015 zu überprüfen. Wie stehen Sie dazu?

Buschmann: Wir wirken bereits darauf hin, dass das geschieht, auch wenn es mit einigen praktischen Problemen verbunden ist. Etwa weil sich die ukrainischen Geflüchteten nicht sofort bei der Einreise registrieren müssen.

Außerdem lässt sich eine individuelle Prüfung aus Zeitgründen nicht flächendeckend erreichen, weil Zehntausende von Menschen kamen, die umgehend auf Hilfe angewiesen waren. Im Zuge der Registrierung schauen wir auch nach dem Vorliegen relevanter sicherheitsbehördlicher Erkenntnisse. Das geschieht zu unserer eigenen Sicherheit.

Aber wie gesagt: Unsere allererste Aufgabe ist es, gerade den vielen Frauen und Kindern zunächst einmal Schutz zu gewähren. Das gilt aber auch für die aus Russland fliehenden Menschen. Wir werden dafür sorgen, dass auch hier Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden, weil wir nicht ausschließen können, dass der Weg nach Deutschland genutzt wird, gezielt Menschen einzuschleusen, um unser Land zu destabilisieren. Wir sind hilfsbereit, aber wachsam.

WELT AM SONNTAG: Müssen geflohene russische Bürger das übliche Asylverfahren durchlaufen?

Buschmann: Nein, das wäre jedenfalls in bestimmten Konstellationen nicht sinnvoll. Es würde dazu führen, dass qualifizierte Menschen erst nach einer längeren Wartezeit arbeiten dürften. Wir wollen, dass auch diese Menschen möglichst schnell eine Arbeitserlaubnis erhalten. Es wird eine Pauschalgenehmigung für all diejenigen geben, die etwa schon bei internationalen Unternehmen tätig waren.

Diese Menschen dürfen sofort hier arbeiten. Auch russische Bürgerrechtler, Putin-kritische Journalisten und regimekritische Kulturschaffende, die nach Deutschland geflohen sind, brauchen schnellen Schutz und einen sofortigen Aufenthaltstitel.

WELT AM SONNTAG: Sie halten gewisse prorussische Sympathiebekundungen für justiziabel. Das mutet bei einem liberalen Justizminister merkwürdig an. Warum sollte der öffentliche Frieden gefährdet sein, weil ein paar prorussische Demonstrationen hupend durch die Innenstadt fahren?

Buschmann: Wir haben in Deutschland den Paragrafen 140 Strafgesetzbuch, der besagt: Die öffentliche Billigung von Straftaten ist selbst eine Straftat, wenn sie den öffentlichen Frieden gefährdet. Das kann der Fall sein, wenn ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg öffentlich gefeiert wird.

WELT AM SONNTAG: Ob Corona-Politik, Waffenlieferungen oder Mietgesetzgebung: Die FDP tritt in einigen Themenfeldern sehr dominant auf. Was bedeutet das für das Klima im Kabinett in der Ampel-Koalition?

Buschmann: Wir sind eine Koalition aus drei Parteien, in die sich natürlich jeder mit seinen Schwerpunkten in besonderer Weise auch einbringt: Die SPD erhebt einen besonderen sozialen Anspruch, die Grünen sind für die Nachhaltigkeit, die FDP für Rechtsstaatlichkeit und ökonomische Vernunft. Wir treten also nicht dominant auf, sondern mit unseren Argumenten, denen wir Gehör zu verschaffen suchen – so wie es unsere Partner auch tun.

Und da Sie Corona ansprechen, will ich betonen, dass ich die Gespräche mit Karl Lauterbach über den Umgang mit der Pandemie als extrem sachlich und konstruktiv empfunden habe. Und wir haben ja auch ein gutes Ergebnis gemeinsam erzielt.

WELT AM SONNTAG: In Sachen Corona-Schutzimpfung haben Sie das Verfahren im Bundestag bestimmt, das dazu geführt hat, dass es keine Impfpflicht geben wird – und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als Befürworter krachend gescheitert ist. Haben Sie also den Kanzler beschädigt?

Buschmann: Ich habe diesen Vorschlag gemacht für ein Verfahren ohne Fraktionsbindung, weil es um einen Medizin-ethischen Konflikt ging. Fragen von derlei besonderer ethischer Dimension werden im Bundestag oftmals so behandelt. Das war ergebnisoffen. Ich habe großen Respekt vor der Auffassung des Bundeskanzlers, des Gesundheitsministers und all derer, die sich für eine Impfpflicht ausgesprochen haben.

Aber der Deutsche Bundestag hat eine Entscheidung getroffen. Sie war auch nicht ganz knapp. Man sollte sie daher jetzt auch respektieren – was meines Erachtens auch breit getan wird.

WELT AM SONNTAG: Ist das Scheitern der Impfpflicht definitiv, oder werden wir im Herbst beim Aufkommen der nächsten Corona-Mutante eine Neuauflage der Diskussion erleben?

Buschmann: Meine Leitlinie bei der Bekämpfung der Pandemie ist immer Lage-angepasstes Handeln. Niemand kann in einer Glaskugel sehen, wie sich die Pandemie entwickelt, ob wir es mit weiteren Varianten zu tun bekommen und welche Eigenschaften sie besitzen werden.

Würden wir es mit einer dramatischen Zuspitzung wegen einer sehr pathogenen Virus-Variante zu tun bekommen, die sehr ansteckend ist und in kürzester Zeit unsere Krankenhäuser zu überlasten droht, dann muss man die Lage ergebnisoffen neu bewerten. Das ist doch völlig klar.

Aber aktuell war unsere Lage eben auch so, dass wir die massiven tiefgehenden Einschränkungen nicht mehr rechtfertigen konnten, weil die Lage sehr stabil war und seitdem noch stabiler geworden ist.

WELT AM SONNTAG: Sie wollen den Paragrafen 219a StGB zum Werbeverbot für Abtreibungen streichen und rechtlich neue Formen der Lebensgemeinschaften verankern. Geraten Sie da als Katholik nicht in Konflikt mit Ihrer Kirche?

Buschmann: Zur Verantwortungsgemeinschaft gibt es mittlerweile schon Äußerungen eines deutschen Bischofs, der sie für eine wunderbare Idee hält. Aus der katholischen Soziallehre entstammt der Gedanke der Subsidiarität. Und was wir mit der Verantwortungsgemeinschaft anbieten, ist die Möglichkeit einer freiwilligen rechtlichen Absicherung von Menschen, die sich dauerhaft unterstützen und füreinander Verantwortung übernehmen wollen: zum Beispiel bei der Kindererziehung oder der Hilfe im Alter. Das ist gelebte Subsidiarität.

Dass die Idee der Verantwortungsgemeinschaft und die Lehre der katholischen Kirche nicht zusammenpassen, glaubt nur eine politische Partei, die meint, sich der Kirche sehr nahezufühlen und in dem Instrument einen Angriff gegen die Ehe erkennt. Aber das ist sie nicht. Es ist eine Ergänzung des Familienrechts, keine Konkurrenz zur Ehe. Ich rechne deshalb nicht mit besonderem Furor aus Rom oder anderswo in der Kirche.

WELT AM SONNTAG: Das ist beim 219a StGB anders.

Buschmann: Ja. Ich habe grundsätzlich großen Respekt vor dem Engagement der katholischen Kirche für den Lebensschutz. Aber der Paragraf 219a StGB ist kein Teil des grundrechtlich gebotenen Schutzkonzeptes für das ungeborene Leben. Es geht um Informationen. Im Zeitalter des Internets können sich Frauen, die über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken, digital anonym informieren.

Da ist es doch bizarr, dass wir Ärztinnen und Ärzten, die das am qualifiziertesten tun können, durch Strafe verbieten, sachliche Informationen über Methoden und Abläufe von Schwangerschaftsabbrüchen zur Verfügung zu stellen. Das halte ich für archaisch. Deshalb muss diese Norm gestrichen werden.

WELT AM SONNTAG: Wie lautet die Osterbotschaft des Katholiken Buschmann?

Buschmann: Ich war kürzlich in Sankt Gallen und habe die wunderbare Stiftsbibliothek besichtigt. Dort lief bis vor Kurzem eine Ausstellung unter dem Titel „Zeitenwende“. Sie befasste sich mit Notker, dem Deutschen, einer Figur, die für die Entwicklung der deutschen Sprache ähnlich wichtig war wie Martin Luther.

Er hat griechische und lateinische Texte ins Mittelhochdeutsche übersetzt – und tatsächlich eine geistige Zeitenwende mit betrieben, die weg vom Neo-Platonismus, der die Welt als Jammertal beschreibt, hin zum Aristotelismus führte, der die Welt nimmt, wie sie ist und ein bisschen besser machen will. Das passt doch gut zu unserer Fortschritts-Regierung. Ich habe den Katalog zur Ausstellung deshalb Olaf Scholz geschenkt.

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