Hans-Dietrich Genscher bekannte, von keinem anderen Mann außerhalb seiner Familie so „verzaubert“ gewesen zu sein wie von Thomas Dehler. Hildegard Hamm-Brücher nannte sich ihm „menschlich beinahe überschwenglich zugetan“. Der Publizist und liberale Denker Barthold C. Witte bekundete schlicht, ihn „geliebt“ zu haben.
Was war das für ein Mann, der die Menschen so für sich einnahm? Ein konzilianter, nachgiebiger Mensch war er nicht; „ein wenig schwierig“ hat er sich selbst genannt. Die Zeitläufte haben ihn so gemacht: unnachgiebig, kompromisslos – in der ihm wichtigsten Sache, dem Recht. Er hatte gesehen, was passiert war, als die Deutschen hier auf die abschüssige Bahn gerieten. Und er hat es einmal seine Erfahrung aus der Weimarer Zeit genannt, dass es darauf ankomme, „dass bestimmte Menschen das, was sie für richtig halten, hart und unerbittlich sagen“.
Geboren am 14. Dezember 1897 in Lichtenfels, in Oberfranken, in eine alteingesessene, mittelständische Familie, wuchs Thomas Dehler durchaus katholisch auf und entwickelte zugleich einen wachen Sinn für das Eigenrecht des Staates gegenüber konfessionellen Ansprüchen – ein urliberaler Gedanke. Seine Gymnasialzeit verbrachte er in Bamberg, dem er in fränkischer Verwurzelung sein Leben lang verbunden blieb. Dehler studierte unter anderem in Würzburg. Dort legte er 1920 auch seine juristische Dissertation vor. Später ließ er sich als Rechtsanwalt in Bamberg nieder, wo er nach 1945 auch als Landrat, Generalstaatsanwalt und Oberlandesgerichtspräsident wirkte.
Dehler wusste, was er persönlich und geistig seiner fränkischen Heimat verdankte. Im Nachruf auf Dehler betonte der „Spiegel“ 1967 seinen „franken Bürgersinn“. In seiner großen Rede „Lob auf Franken“ von 1966, die dann als Buch erschien, nannte Dehler Franken das „Herzstück Deutschlands“ und bekannte: „In Würzburg habe ich die Weite und den Reichtum Frankens am tiefsten erfasst. Dort bin ich bewusster Franke geworden.“ Das hieß natürlich für Dehler in seiner Zeit noch oft und gern, dass er sich in Opposition zu Bayern wiederfand.
Thomas Dehler war ein Überzeugungstäter des Rechts und des Rechtsstaats, deren Sinn und Grund für ihn die Freiheit des Einzelnen war. In den Wirren der Münchner Räterepublik hat er 1919 als Jurastudent mit dem Gewehr in der Hand Sozialdemokraten gegen rechts- und linksradikale Angriffe verteidigt – nicht, weil er deren Gedanken richtig fand, sondern weil er ihre Meinungsfreiheit schützen wollte.
Weimarer Republik und Rechtsstaat stützte er seit 1919 in Walther Rathenaus Deutscher Demokratischer Partei, an der Seite auch schon von Friedrich Naumann und Theodor Heuss, und eben als Rechtsanwalt in Bamberg. Unter vielfältigen Repressionen, darunter Verhaftungen und eine Zwangsarbeitslager-Internierung, schaffte er es nach 1933 dennoch, weiterhin anwaltlich zu arbeiten, auch jüdische Bürgerinnen und Bürger zu vertreten und seine Ehe mit einer Jüdin zu verteidigen. Seit Mitte der dreißiger Jahre gehörte er der Robinsohn-Strassmann-Widerstandsgruppe an, zu deren bayerischem Knotenpunkt er Bamberg machte.
Unbelastet wurde Thomas Dehler dann zu einem Gründer und Gestalter der jungen Bundesrepublik: als Mitbegründer der bayerischen und der Bundes-FDP, als deren Vorsitzender und Fraktionsvorsitzender, später auch als Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Er spielte eine führende Rolle im Parlamentarischen Rat, wo er die Grundrechte, die bürgerlichen Freiheitsrechte und die klassischen Sätze zur Menschenwürde mitformulierte. Als erster Justizminister der Bundesrepublik von 1949 bis 1953 ist er dann zum Architekten von Rechtseinheit, Rechtsstaat und Justiz unseres Landes geworden.
Thomas Dehlers Reden und Aufsätze gehören bis heute zum Besten, was man politisch aus jener frühen Bundesrepublik lesen kann. Kaum einer konnte wie er Recht und Freiheit als unabdingbare Grundlage eines gelingenden persönlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und staatlichen Lebens darlegen. Kaum einer tat das mit so viel klassischer Bildung und mit so viel spürbarer persönlicher Menschlichkeit und Herzensbildung.
Sein zentraler Gedanke war: „Recht ist, was der Freiheit, der Freiheit der Entscheidung und des Handelns dient“. Die Aufgabe des Rechts sei es, „dem Menschen die Freiheit zu geben, er selbst sein zu können“.
In keiner Zeile aus Dehlers Feder besteht dabei ein Zweifel, dass die Freiheit die persönliche und zugleich die politische Freiheit im Zusammenleben mit anderen und in Verantwortung für andere und für das Ganze des rechtsstaatlich gebundenen Gemeinwesens meint. Dehlers liberales Menschenbild ist forderndes Ideal: das Bild des seine Freiheit in Verantwortung gebrauchenden, sein Leben wirklich führenden Menschen.
Dieses Menschenbild und dieser Rechtsgedanke Thomas Dehlers stehen auch hinter der Bürgerrechts- und der Gesellschaftspolitik, die wir uns als Bundesregierung für die kommenden Jahre vorgenommen und mit der wir begonnen haben. Es geht um den Schutz und Ausbau von bürgerlichen Rechten und Freiheiten, damit sie verantwortlich gelebt werden können. Unsere Rechtspolitik steht in der Tradition des großen Liberalen und Franken Thomas Dehler, der heute vor 125 Jahren geboren wurde.