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„Wir werden nicht zur Kriegspartei“

Schwerpunktthema: Augsburger Allgemeine

Interview mit Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann für die Augsburger Allgemeine

Interviews und Gastbeiträge

Justizminister Buschmann kann sich gut vorstellen, der Ukraine auch schwere Kampfpanzer vom Typ Leopard zu liefern. Putin werde sonst die Nachbarländer immer weiter bedrohen.

Herr Minister, wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine sorgen sich viele Menschen, dass Deutschland deswegen zur Kriegspartei wird. Sie haben das ja im Grundsatz schon verneint. Was aber, wenn demnächst die ukrainische Besatzung eines deutschen Marder-Schützenpanzers mit seinen zwei Kilometern Reichweite auf russisches Gebiet schießt?

Marco Buschmann: Diese Sorge kann ich Ihnen nehmen. Gemäß dem fundamentalen völkerrechtlichen Gewaltverbot, wie es in der UN-Charta niedergelegt ist, ist die Anwendung militärischer Gewalt grundsätzlich unzulässig. Deshalb haben wir die Situation, dass Russland sich völkerrechtlich im Unrecht befindet, weil es seinen Nachbar angegriffen hat. Die Ukraine befindet sich im Recht, weil sie einen Selbstverteidigungskrieg führt. Nach dem Völkerrecht dürfen wir der Ukraine dafür Waffen liefern. Wir werden dadurch nicht zur Kriegspartei. Egal, welche Qualität die Waffen haben.

Das gilt auch in für den Fall, dass die Ukraine Ziele in Russland angreift?

Die Ukraine hat das Recht zur Selbstverteidigung. Das kann auch umfassen, russische militärische Ziele in Russland anzugreifen, wenn sie von dort aus attackiert wird. In keinem Fall würden auch bei Angriffen der Ukraine auf Ziele in Russland die Lieferanten der Waffen oder die Länder, in denen die Waffen produziert worden sind, zur Kriegspartei.

Wenn schon Marder, warum dann nicht auch Leopard-Kampfpanzer. Wie stehen Sie zu dieser Debatte?

Meine persönliche Auffassung ist klar und die lautet: Das darf kein Tabu sein. Würde Herr Putin aus den fortwährenden Aggressionen gegen seine Nachbarn die Lehre ziehen, dass er sich am Ende mit dieser Taktik durchsetzt, wird er immer weitermachen. Das macht Europa nicht sicherer, sondern unsicherer. Deshalb muss die Ukraine ihren Selbstverteidigungskrieg gewinnen – für sich selbst, aber auch für uns. Wichtig war und ist mir, dass wir uns beim Thema Waffenlieferungen ganz eng mit unseren Verbündeten abstimmen.

Es gibt eine Debatte über die Einrichtung eines Sondertribunals, um die Verantwortlichen dieses Angriffskrieges zur Verantwortung zu ziehen. Was ist Ihre Meinung?

Mir liegt die Verfolgung von Kriegsverbrechen sehr am Herzen. Ich war dazu unter anderem in den USA und in Kiew. Es gab auf unsere Initiative hin das erste Mal in der Geschichte ein Treffen der G7-Justizminister, genau zu diesem Thema. Wir haben dort die Errichtung eines Kontaktnetzwerkes vereinbart, um Kriegsverbrechen effektiver zu verfolgen. Wir haben den Generalbundesanwalt dazu personell aufgerüstet, damit er besser ermitteln kann. Deutschland ist bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen weltweit führend. Wir unterstützen auch darüber hinaus den Internationalen Strafgerichtshof.

Also kein Sondertribunal?

Ich kann sehr gut verstehen, dass die Ukraine insbesondere Herrn Putin eines Tages vor Gericht sehen will. Idealerweise würde das vor dem Internationalen Strafgerichtshof gelingen.

Aber warum? Die Union kritisiert, die Regierung ducke sich beim Thema Sondertribunal weg.

Wir müssen unsere Entschlossenheit, rechtstaatliche Prinzipienfestigkeit und den Schutz bestehender Institutionen zusammenführen. Der Internationale Strafgerichtshof ist eine historische Errungenschaft. Er darf nicht geschwächt werden. Aber wenn Putins Angriffskrieg hier nicht ausreichend verfolgt werden kann, sind wir auch offen für andere Wege.
Ich halte dann auch ein Sondertribunal für vorstellbar. Wichtig ist, dass wir diese Diskussionen in enger Abstimmung mit unseren Partnern und unter Einbindung der bereits ermittelnden Institutionen führen.

Eine Diskussion um Waffen wird nach den Silvesterausschreitungen auch innenpolitisch geführt. Innenministerin Nancy Faeser von der SPD will das Waffenrecht verschärfen. Sie sind dagegen. Wie kann eine Einigung aussehen?

Der Ruf nach neuen und schärferen Gesetzen gehört leider zum Standard-Repertoire der meisten Innenpolitiker. Im Koalitionsvertrag ist aber vereinbart, dass wir erst mal evaluieren, was die verschiedenen Gesetzesänderungen in der Vergangenheit gebracht haben. Dann schauen wir weiter. Meine Meinung ist, dass wir das bislang geltende Recht nicht gut genug durchsetzen. Das halte ich für wichtiger. Wenn wir uns anschauen, womit in der Silvesternacht Gewalt ausgeübt wurde, dann haben scharfe Waffen keine und Schreckschusswaffen keine entscheidende Rolle gespielt. Da wurde in erster Linie mit Böllern, Feuerlöschern und anderen Gegenständen geworfen. Und was die Entwaffnung beispielsweise von Reichsbürgern angeht, da haben wir heute schon alle rechtlichen Möglichkeiten. Dafür brauchen wir kein verschärftes Waffenrecht.

Themenschwenk. Die vergangenen Jahre haben deutlich gezeigt, dass die deutsche Verwaltung langsam arbeitet und schwer in Papier verliebt ist. Neuerungen, wie die elektronische Gesundheitsakte, bekommt der Staat trotz jahrelanger Anstrengungen nicht hin. Wieso kommt Deutschland bei der Digitalisierung nicht voran?

Deutschland kommt durchaus voran, aber ja: Wir brauchen noch mehr Tempo. Auch, weil bei uns Digitalisierung noch viel zu oft bedeutet: Man denkt, man kann Geld auf den Tisch legen, kriegt einen grauen Kasten dafür, den stellt man auf den Tisch und damit ist man dann in der digitalen Welt angekommen. Digitalisierung ist aber kein Beschaffungsvorgang, sondern ein Veränderungsprozess.

Und wie geht es wirklich? Sie sind in Ihrem Ministerium mit der Digitalisierung in einem Jahr Amtszeit weit gekommen und arbeiten praktisch papierlos.

Eingefahrene und eingespielte Abläufe müssen neu gedacht werden. Jeder muss sich fragen, ob er nur so arbeitet, wie er es tut, weil es bislang immer mit Papier der Fall oder ob es digital nicht anders und besser geht? Brauchen wir wirklich noch einen Papierausdruck? Nach deutschem Recht muss man diese Frage leider noch zu oft mit Ja beantworten. Ich habe deshalb mein Ministerium beauftragt zu überprüfen, wo wir die Papierberge in unserem Rechtssystem abschaffen können. Im Ministerium selbst haben wir es inzwischen geschafft, die elektronische Akte vollständig einzuführen zwei Jahre vor Plan. Mittlerweile verkünden wir Gesetze nicht mehr auf Papier, sondern digital. Stück für Stück geht es voran.

Hört sich doch machbar an …

Eine so große Veränderung bedeutet auch immer, dafür zu werben, kontrollierbare Risiken einzugehen. Wenn ich was Neues ausprobiere, kann auch etwas schiefgehen. Dann könnte jemand kommen, der mir sagt: Du hast einen Fehler gemacht. Daher brauchen wir eine positive Fehlerkultur. Sie darf den Fehler nicht verherrlichen, aber auch nicht so verteufeln, dass sich niemand mehr traut, etwas Neues auszuprobieren. Niemand hat die Garantie, dass das Neue auch sofort erfolgreich sein wird. Das gibt es weder in der Wirtschaft noch im Staat.

Sie selbst gelten als Fan der Elektronik, machen als Hobby unter dem Label MB Sounds elektronische Musik. Hat es damit etwas zu tun, dass sie sich des Themas Digitalisierung verschrieben haben?

Die Geschichte der Musik ist eine Geschichte von Innovation und Improvisation. Häufig ist es ja so, dass man zehn neue Dinge ausprobieren muss, um dann ein oder zwei Innovationen zu haben, die dauerhaft überleben. Nach Bachs Harmonieempfinden komponiert man noch heute Pop-Songs. Er lebt ewig. Serielle Musik war innovativ, aber man hört buchstäblich nicht mehr viel davon. Musik und Verwaltung brauchen eine gute Fehlerkultur.

Gilt das fürs gesamte Kabinett?

Ich habe schon den Eindruck, dass unser erfolgreiches Vorgehen bei der Digitalisierung innerhalb der Bundesregierung respektiert wird. Wir sind zu unseren Erfahrungen auch mit anderen Häusern im Austausch, die davon profitieren wollen.

Der Normenkontrollrat hat allerdings gerade festgestellt, dass der Erfüllungsaufwand – also der Zeitaufwand und die Kosten, die neue Gesetze verursachen – auch in Ihrer Regierungszeit nicht nur wegen des Mindestlohns noch mal gestiegen ist ...

Umso mehr müssen wir uns jetzt anstrengen. Die Zuständigkeit für den Bürokratieabbau liegt inzwischen bei meinem Haus, und mein Parlamentarischer Staatssekretär Benjamin Strasser koordiniert hierfür die Staatssekretäre aller Ministerien. Der zuständige Ausschuss hat eine umfangreiche Abfrage bei den Verbänden beschlossen, um Bereiche und Themen zu identifizieren, in denen bürokratische Hindernisse bestehen und wie diese abgebaut werden können. Wir hoffen, bereits im März erste Ergebnisse zu haben. Zudem arbeiten wir daran, dass die Gesetzgebung selbst moderner und effektiver wird.

Sie wollen nicht nur weniger Papier im Rechtssystem, Sie wollen das gesamte Strafrecht entrümpeln. Warum?

Der Staat muss in seinen Kernaufgaben stark sein. Bei schweren Straftaten muss er schnell ermitteln. Das erwarten die Bürger – zu Recht. Da ist es natürlich Unsinn, die Strafverfolgungsbehörden mit Dingen zu beschäftigen, die keine Begründung mehr haben. Priorisieren statt Verzetteln lautet unsere Philosophie.

Zum Beispiel?

Wer eine Bekanntmachung einer Behörde vom Schwarzen Brett runterreißt, kann sich strafbar machen. Das stammt aus einer Welt, in der sich die Menschen über amtliche Mitteilungen im Wesentlichen über Aushänge informierten. In der digitalen Realität wirkt das kurios.

Ärger mit den Ermittlern hat derzeit Ihr Parteichef Christian Lindner. Der Finanzminister steht wegen einer Immobilienfinanzierung in der Kritik. Einige sprechen von einem Skandal. Ist die aus Ihrer Sicht übertrieben oder muss er da jetzt transparent werden?

Wenn man an diesem gesamten Sachverhalt etwas Skandalöses finden wollte, und das sage ich als Abgeordneter und nicht in amtlicher Eigenschaft, dann ist es das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft in Berlin.

Wieso?

Sie gibt öffentlich lediglich die Erwägung bekannt, eines Tages vielleicht mal möglicherweise einen Antrag auf Aufhebung der Immunität stellen zu wollen. Gleichzeitig räumt sie ein, dass die Schwelle zum Anfangsverdacht nicht überschritten wurde. Als Jurist halte ich das für unzulässig. Wenn es hier einen Skandal gibt, dann ist es diese Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen.

Sie haben sich zuletzt sehr für eine Abschaffung von Corona-Beschränkungen eingesetzt. Die laufen bis zum Frühjahr. Lassen Sie es jetzt damit gut sein oder starten Sie einen erneuten Vorstoß?

Das bestehende gesetzliche Konzept sieht ja vor, dass spätestens am 7. April sämtliche Maßnahmen auslaufen. Die Entwicklung ist aktuell so positiv, dass selbst vorsichtige Wissenschaftler uns im endemischen Stadium sehen. Ich bin der Auffassung, dass wir also schneller aus den verbliebenen bundesweiten Maßnahmen aussteigen können. Wenn etwa zwei sozialdemokratisch geführte Landesregierungen Anfang Februar die Maskenpflicht im ÖPNV aufheben, sollte doch auch eine SPD-geführte Bundesregierung die Maskenpflicht im Fernverkehr der Bahn zu diesem Datum aufheben. Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger müssen immer die Ausnahme und gut begründet sein. Meines Erachtens können auch andere Schutzmaßnahmen vor dem 7. April aufgehoben werden.

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