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„Der Staat muss die geschlechtliche Identität respektieren“

Schwerpunktthema: Tagesspiegel

Justizminister Marco Buschmann über ein hybrides Tribunal für Kriegsverbrecher, mildere Ersatzfreiheitsstrafen und trans Personen in Sportstudios

Interviews und Gastbeiträge

Herr Buschmann, die Bundesregierung hat beschlossen, der Ukraine Leopard-2-Kampfpanzer zu liefern. Nun folgen Forderungen nach Kampfjets. Würden Sie welche liefern?

Wir unterstützen die Ukraine bei ihrem legitimen Verteidigungskrieg mit ziviler und militärischer Hilfe. Jetzt haben wir uns entschieden, Leopard-2-Panzer zu liefern. Das halte ich auch für richtig. Alles andere kann ich im Moment nicht erkennen.

Sie sind also dagegen, Kampfjets zur Verfügung zu stellen?

Ich bin mit der gesamten Bundesregierung einig: Das ist keine Option, die wir jetzt diskutieren.

Annalena Baerbock hat ein Sondertribunal vorgeschlagen, um Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu ahnden. Sie sind anderer Meinung?

Ich bin mitnichten dagegen. Alle Kriegsverbrecher müssen für ihre Taten belangt werden. Der Internationale Strafgerichtshof kann Staatsangehörige von Nicht-Vertragsstaaten nicht wegen des Verbrechens der Aggression verfolgen. Es braucht eine Alternative. Ich habe mich früh für ein hybrides Tribunal ausgesprochen. Das ist die Option, die auch die Außenministerin favorisiert. Sehr wichtig ist mir dabei aber auch Folgendes: Bei allem, was wir tun, dürfen wir die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs nicht schwächen. Der Strafgerichtshof ist ein zivilisatorischer Fortschritt.

Was ist ein hybrides Tribunal?

Ein hybrides Tribunal ist ein international besetztes Gericht, das ukrainisches Strafrecht anwendet. Denn man kann sich natürlich fragen, ob ukrainische Richter völlig unbefangen agieren können, während ihr Heimatland von Russland mit einem brutalen Krieg überzogen wird. Es finden entsetzlichste Verbrechen statt. Den Haag wäre ein guter Ort für ein solches Tribunal. Es würde gewiss international Anerkennung finden.

Wann können wir denn damit rechnen?

Auf internationaler Ebene sind die Arbeiten angelaufen. Es gibt in den EU-Staaten unterschiedliche Vorstellungen, die jetzt zusammengeführt werden müssen. Wir müssen so bald wie möglich loslegen können.

Die Ampel-Regierung hat in den vergangenen Wochen nicht nur um die Kampfpanzer-Frage gestritten, sondern auch über viele andere Themen. Die Stimmung dürfte gerade nicht so toll sein.

Manch einer hat die Wunschvorstellung, dass eine Regierung alle Fragen im Verborgenen diskutiert. Doch das gelingt eben nicht immer. Wir sind in der Regierung drei unterschiedliche Parteien. Und ich finde es gut, wenn die Bürger erkennen, wer sich wofür engagiert. Entscheidend ist, unsere Lösungen funktionieren. Wir haben im letzten Jahr viele mutige Entscheidungen getroffen. In der Sicherheitspolitik mit der Zeitenwende, in der Haushaltspolitik mit dem 200-Milliarden-Abwehrschirm und in der Energiepolitik mit der Entscheidung, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Wir haben es geschafft, neues Vertrauen an den Märkten zu schaffen und die schlimmsten sozialen Härten zu vermeiden. Deutschland ist bislang gut durch diesen Winter gekommen. Das ist es, was am Ende zählt.

Herr Buschmann, wir hören etwas anderes. Es war zu lesen, Sie würden die Reformen in Sachen Mietrecht blockieren, weil das Innenministerium dem Quick-Freeze-Verfahren, das die Vorratsdatenspeicherung ersetzen soll, nicht zustimmt.

Wir haben einen Koalitionsvertrag, den wir abarbeiten. Darin sind punktuelle Reformen im Mietrecht benannt. Ich stehe zu den getroffenen Vereinbarungen. Das gilt natürlich auch für die Einführung von Quick-Freeze anstelle der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Beides will ich gerne schnell umsetzen.

Beide Vorhaben kommen jedenfalls nicht voran. Hängt das miteinander zusammen?

Ich werbe sehr dafür, dass wir in der Koalition gemeinsam an einem Strang ziehen und die vereinbarten Vorhaben umsetzen. Wenn sich alle Seiten an den Koalitionsvertrag halten, können wir insgesamt zügig vorankommen. Ich weiß, dass das Thema Mieten gerade in Berlin eine große Herausforderung ist. Wichtiger und wirksamer als die Anpassungen im Mietrecht wäre es allerdings, endlich das Wohnungsangebot zu vergrößern. Es muss mehr gebaut werden. Der Berliner Senat ist dabei leider eher Bremse als Beschleuniger. Als Bundesregierung haben wir uns vorgenommen, 400.000 neue Wohnungen im Jahr zu schaffen. Leider hinken wir diesem Ziel hinterher. Hier muss mehr passieren.

Kommen wir zum anderen Streitpunkt, dem Quick-Freeze-Verfahren. Anders als bei der klassischen Vorratsdatenspeicherung werden die Daten nur gespeichert, wenn Ermittlungsbehörden einen Verdacht auf ein Verbrechen haben. Das Innenministerium will eine weitergehende Regelung. Warum möchten Sie das nicht?

Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung führt dazu, dass Bürgerinnen und Bürger damit rechnen müssen, unter Generalverdacht gestellt zu werden, obwohl sie nichts verbrochen haben. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, keine anlasslose Speicherung von Daten zuzulassen. Es geht auch um die Frage, in was für einem Land wir leben wollen: Jeder, der online unterwegs ist, soll das grundsätzlich frei und unbeobachtet tun können. Ermittelt wird erst dann, wenn ein Verdacht vorliegt. Das ist die rechtsstaatliche Tradition unserer Strafprozessordnung.

Das Innenministerium argumentiert, dass so auch sexuelle Gewalt gegen Kinder unbeobachtet bleibt.

Kindesmissbrauch ist ein entsetzliches Verbrechen. Im Moment ist die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ausgesetzt. Trotzdem können wir die Verbreitung solcher Darstellungen erfolgreich bekämpfen. Die Aufklärungsquote in diesem Bereich ist nach der polizeilichen Kriminalstatistik sehr hoch. Und es gibt keine Belege dafür, dass sie mit der Vorratsdatenspeicherung steigen würde. Ich werbe deshalb stattdessen für ein Instrument, das effektiv und rechtssicher ist und das Bürgerinnen und Bürger nicht unter Generalverdacht stellt: das Quick-Freeze-Verfahren.

In den USA konnten Täter in den letzten Jahren dank der Vorratsdatenspeicherung ermittelt werden.

Ist die anlasslose Massenüberwachung erforderlich? Steht der dadurch bewirkte Verlust an Freiheit in einem vertretbaren Verhältnis zum Gewinn an Sicherheit? Aus meiner Sicht ist das klar zu verneinen. Das legen auch die Zahlen aus der Strafverfolgungspraxis nahe. Nur in einem kleinen Teil der Fälle scheitert die Strafverfolgung deshalb, weil die IP-Adresse nicht mehr zugeordnet werden kann. Und in den letzten Jahren ist es gelungen, diesen Anteil erheblich zu reduzieren – trotz Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung.

Im Koalitionsvertrag gibt es noch etliche andere Vorhaben, unter anderem eine Reform des Namensrechts.

Das deutsche Namensrecht wird der Vielfalt der Lebensentwürfe in unserer Gesellschaft nicht gerecht. Zum Beispiel: Eine alleinerziehende Mutter heiratet einen neuen Partner, nimmt dessen Namen an und auch das Kind der Mutter erhält den Namen des neuen Mannes. Später geht die Beziehung in die Brüche, die Mutter lässt sich scheiden. Für die Mutter gibt es die Möglichkeit, ihren alten Namen wieder anzunehmen. Diese Möglichkeit ist für das Kind im Gesetz nicht vorgesehen. Es muss auch nach der Scheidung zunächst den Namen des Ex-Mannes seiner Mutter behalten, der nicht sein Vater ist. Das ist absurd. Ein anderes Beispiel: Viele Paare wollen heute in gleichberechtigten Beziehungen leben und beide einen Doppelnamen führen. Diese Möglichkeit gibt es bisher nicht. Das halte ich für einen Fehler. Wir werden das ändern. Das schafft mehr Freiheit und Selbstbestimmung.

Um die Änderung des Vornamens geht es oft beim Selbstbestimmungsgesetz, dass das veraltete Transsexuellengesetz ablösen soll. Seit Wochen geht der Gesetzentwurf zwischen dem Familienministerium und dem Justizministerium hin und her. Woran hakt’s?

Die Arbeiten sind weitgehend abgeschlossen. Wir klären einige Detailfragen. So gibt es etwa die Sorge, dass das Selbstbestimmungsgesetz die Vertragsfreiheit und das Hausrecht einschränken könnte. Das wollen wir nicht, darin sind wir uns in der Koalition einig.

Können Sie ein Beispiel geben?

Der Staat muss die geschlechtliche Identität respektieren, die eine Bürgerin oder ein Bürger hat. Deshalb darf er Personen, die ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollen, nicht durch quälende Verfahren zwingen. Das betrifft das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Es gibt aber auch das Verhältnis der Bürger untereinander. Was ist zum Beispiel mit dem Sportverein, der Sauna, dem Fitnessstudio? In vielen Bereichen wird es keine Probleme geben, weil es ja gemischte Saunen, gemischte Fitnessstudios gibt.

Es gibt aber auch Fitnessstudios nur für Frauen. Manche Frauen-Fitnessstudios werden entscheiden: Alle Personen mit Geschlechtseintrag weiblich sind uns willkommen. Es wird aber vielleicht auch Einrichtungen geben, die nicht anhand des Geschlechtseintrags differenzieren wollen. Wo es dafür ein nachvollziehbares Bedürfnis gibt, etwa in Saunen, wird das weiterhin möglich sein, wie es heute auch der Fall ist.

Fürchten Sie die Reaktionen auf das Gesetz?

Es wurde behauptet, dass das Gesetz dazu führen könnte, dass Männer sich Zugänge zu Schutzräumen von Frauen verschaffen, um dort Frauen zu bedrohen oder zu belästigen. Das ist völliger Unsinn. Auch künftig wird das Recht eine sichere Handhabe bieten, um solches inakzeptables Verhalten zu verhindern. Das stellen wir sicher.

Im vergangenen Jahr sind Angriffe auf queere Menschen häufiger geworden, am Rande des CSD Münster wurde der trans Mann Malte C. erschlagen. Sie planen Strafrechtsverschärfungen bei Hasskriminalität. Wann müssen Täter damit rechnen?

Das Gesetzgebungsverfahren ist auf den Weg gebracht. Jede Form von Gewaltkriminalität ist inakzeptabel. Aber der Unwertgehalt einer Tat hängt auch von den Beweggründen ab. Straftaten, die sich gegen die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identität einer Person richten, sind besonders niederträchtig. Gleiches gilt etwa für Gewalt gegen Frauen, bei der der Partner oder Ex-Partner das Selbstbestimmungsrecht der Frau missachtet. Der besondere Unwertgehalt solcher Taten muss sich in der Strafzumessung niederschlagen. Das wollen wir im Gesetz klarstellen. Wir hoffen, dass das schnell durchs Parlament kommt.

Ein anderes Projekt ist die Reform der Ersatzfreiheitsstrafe, zum Beispiel wenn man beim mehrmaligen Schwarzfahren erwischt und zu einer Geldstrafe verurteilt wird. Was planen Sie dort?

Die Ersatzfreiheitsstrafe ist ein Ersatz für eine verhängte Geldstrafe. Auf dieses Instrument können wir nicht vollständig verzichten. Wir wissen aus der Praxis: Wenn Menschen sich beharrlich weigern, einer Geldstrafe nachzukommen, obwohl sie das Geld haben, bezahlen sie die Strafe unter dem Druck des Haftantritts häufig doch noch.

Was wollen Sie ändern?

Wenn Geldstrafen in Freiheitsstrafen umgerechnet werden, dann gilt derzeit ein Maßstab von 1:1. Das heißt: Ein Tagessatz Geldstrafe ergibt einen Tag Freiheitsstrafe. Das ist zu streng. Der Tagessatz einer Geldstrafe orientiert sich an dem, was ein Mensch am Tag durchschnittlich verdienen kann. Ein Tag Freiheitsstrafe wiegt aber viel schwerer als der Verlust eines Tageseinkommens. Wir wollen den Umrechnungsmaßstab deshalb halbieren: Zwei Tagessätze Geldstrafe sollen also künftig noch zu einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe führen. Der abschreckende Effekt der drohenden Haft bleibt aber erhalten.

Zu dem furchtbaren Angriff in Schleswig-Holstein, bei dem zwei Jugendliche getötet wurden: Der Mann war vorbestraft, ist aber trotzdem noch in Deutschland. Wie kann das sein?

Ich kenne die Akte des Täters nicht und kann den konkreten Fall daher nicht bewerten. Meine Meinung ist aber, dass wir von den Instrumenten, die das Migrationsrecht bietet, generell stärker Gebrauch machen müssen. Wir wollen Menschen Schutz gewähren, die in Not sind. Wir freuen uns über alle Menschen, die hier arbeiten können und wollen und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Wer allerdings durch schwere Straftaten eine reale Gefahr für Menschen darstellt, die hier friedlich leben, kann eine Aufenthaltserlaubnis nicht behalten und muss mit den Konsequenzen rechnen. Bei ausländischen Staatsangehörigen sollten wir dann alle Möglichkeiten für eine Ausweisung und eine Abschiebung ausschöpfen. Da geht rechtlich deutlich mehr, als in Deutschland derzeit praktiziert wird.

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