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Das Land von Regeln entfesseln

Justizminister Marco Buschmann gegenüber der Welt am Sonntag über Bürokratieabbau, die Schuldenbremse, Zuwanderung - und wie er Nazisprache aus den Gesetzen kriegen will

Interviews und Gastbeiträge
Welt am Sonntag

Herr Buschmann, wie verbreitet ist die Kenntnis des Grundgesetzes unter den Mitgliedern des Bundeskabinetts?

Ich gehe davon aus, dass natürlich alle das Grundgesetz kennen - und das nicht nur in Grundzügen.

Gilt das auch für den Vizekanzler? Robert Habeck sieht die Schuldenbremse aus Artikeln 109, 115 Grundgesetz auf einer Stufe mit politischen Projekten des Koalitionsvertrags.

Ich gehe davon aus, dass er es auch gut kennt. Aber sollte sich mal eine kleine Lücke auftun, helfen wir gerne aus.

Wenn die Haushalte von Bund und Ländern ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind, wie es in der Verfassung heißt: Wie sollen aktuelle politische Wünsche wie zehn Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr, zehn Milliarden Euro für die Aktienrente oder zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung dann unter einen Hut gebracht werden?

Die oft zitierte Zeitenwende des Kanzlers gilt auch für die Haushalts- und Finanzpolitik. Wir hatten zuletzt einige Jahre, in denen quasi jeder politische Konflikt mit einem Mehr an Geld zugeschüttet worden ist. Jetzt sind wir wieder in der normalen Situation, dass die finanziellen Möglichkeiten enger begrenzt sind. Das zwingt uns zu einer Priorisierung. Es ist der Kernauftrag von Politik, zu entscheiden, was unter all dem Wünschenswerten das Wichtigste ist.

Was denn?

Wir befinden uns in einer neuen sicherheitspolitischen Lage. Zugleich steht fest, dass unsere militärischen Fähigkeiten dieser Lage nicht entsprechen. Daher komme ich zu dem ersten Schluss, dass die Bundeswehr eine hohe Priorität hat. Ansonsten gilt Vorrang für alles, was unser Land für die Zukunft stärkt.

2022 hat die Ampel wegen des Kriegs in der Ukraine die Schuldenbremse unter Berufung auf die Notfallklausel des Artikels 115 Absatz 2 Satz 6 Grundgesetz ausgesetzt. Ist es nicht nachvollziehbar, dass bei SPD und Grünen mancher fordert, es in diesem Jahr wieder so zu machen?

Voriges Jahr ist durch den Kriegsausbruch eine völlig neue Lage eingetreten. Da drohte unserer Wirtschaft ein regelrechter Schock. Mittlerweile können wir die Herausforderungen besser einschätzen und haben auch schon einen Teil bewältigt. Es empfiehlt sich daher, aus einer solchen Ausnahme nicht die Regel zu machen. Es ist in vielerlei Hinsicht vernünftig, möglichst zügig zu soliden Finanzen zurückzukehren. Diese Linie haben wir auch in der Corona-Politik verfolgt und sind zügig wie verantwortbar in den Normalzustand zurückgekehrt. Wer die Krise zum Dauerzustand erklären möchte, verweigert sich der zwingenden Aufgabe von Politik, Prioritäten zu setzen, und schwächt die durch die Verfassung vorgegebenen Verfahren zur Qualitätssicherung politischer Entscheidungen.

Alternativ werden von Ihren Koalitionspartnern "Einnahmeerhöhungen" gefordert. Steuererhöhungen verbietet die Verfassung nicht.

Verfassungsrechtlich geht das, politisch aber verbietet es sich. Bürger und Betriebe waren in den letzten Jahren enormen Belastungen ausgesetzt. Erst durch die Pandemie, dann durch die Energiekosten. Wir müssen ein Interesse daran haben, dass Bürger und Betriebe entlastet werden, um damit das Wachstum der deutschen Wirtschaft wiederanzukurbeln. Das ist der richtige Weg, um die Einnahmesituation zu verbessern. Jeder Volkswirt weiß, dass Steuererhöhungen das Gegenteil bewirken. Ich bin zudem davon überzeugt, dass wir an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten müssen. Der Justizminister ist dafür vielleicht nicht der erste Fachminister, der einem spontan einfällt. Aber auch wir wollen etwas dazu beitragen, etwa durch eine Entbürokratisierungsoffensive. Wir haben eine große Verbändeabfrage gestartet und wollen bald eine erste Ideensammlung vorstellen, wie wir das Land ein Stück weit von Regeln entfesseln können. Keine höheren Steuern, sondern weniger Bürokratie: Das macht unser Land stärker.

Bei der Migration ist in den Ampel-Plänen ein Ungleichgewicht zu erkennen: Erleichterungen bei Fachkräfteeinwanderung und Staatsbürgerschaft sind auf dem Weg, bei der Unterbindung von irregulärer Migration ist kein Konzept zu erkennen. Oder?

Die Debatte um Zuwanderung wird seit Jahrzehnten von links wie rechts verklemmt geführt. In Wahrheit braucht man ein klares Leitbild. Das muss lauten: Wir haben zwei Spuren der Migration nach Deutschland. Das eine ist die Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Die muss so geregelt sein, dass sie unseren Interessen entspricht. Wir wollen nicht Menschen einladen, die Transferempfänger sind, sondern wir wollen Menschen einladen, die einen positiven Beitrag zum wirtschaftlichen Vorankommen des Landes leisten. Deshalb werden wir ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschieden. Die zweite Spur ist Deutschlands Verantwortung als großes und reiches Land, um Menschen in Not zu helfen. Das tun wir - sogar in einem so großen Maße, dass uns ja Bürgermeister und Kommunalpolitiker schildern, wie sehr sie vor Ort gefordert sind. Davor darf man bei allem guten Willen nicht die Augen verschließen. Schon Joachim Gauck sagte einmal, dass unsere Herzen weit, unsere Möglichkeiten jedoch nicht unendlich seien. Damit hat er recht.

Aber was folgt daraus?

Erstens bin ich der festen Überzeugung, dass unsere Verantwortung für Länder wie die Ukraine, die räumlich näher bei uns sind, größer ist als für Länder, die Zehntausende Kilometer entfernt sind. Es wäre vernünftig, diesen fernen Ländern eher vor Ort zu helfen. Zweitens muss der Grundsatz wieder gelten, dass die Menschen, die zu uns kommen, um Schutz zu suchen, wieder in ihre Heimat zurückkehren, wenn es dort die Lage ermöglicht. Und wer keinen Anspruch auf Schutz als Kriegsflüchtling oder politisch Verfolgter hat, der muss in seine Heimat überstellt werden. Aber natürlich sollte es eine Ausnahme geben: dass man die Spur wechseln kann, wenn das in unserem Interesse liegt. Heißt also: Wenn es kein Schutzbedürfnis mehr gibt, aber die Menschen Qualifikationen vorweisen, mit denen sie ein Gewinn für unseren Arbeitsmarkt sind, dann dürfen sie hierbleiben. Aber das gilt eben nicht für alle und muss anhand klarer Kriterien prüfbar sein. Nicht jeder Flüchtling ist ein Gewinn für den Arbeitsmarkt. Das gehört zur Wahrheit dazu.

Tatsächlich aber arbeitet Innenministerin Nancy Faeser (SPD) an einem Gesetz, das den Erwerb der Staatsangehörigkeit mit verkürzten Fristen erleichtern soll. Stimmen Sie dem zu?

Die Federführung für das Staatsangehörigkeitsrecht hat das Bundesministerium des Innern. Aber wir sind in einer Koalition, und deshalb wird Rechtswirklichkeit nur, wohinter alle drei Koalitionspartner stehen. Ich finde, wir sollten uns dabei weniger an zeitlichen Fristen orientieren, sondern an Qualifikationen. Das Staatsangehörigkeitsrecht richtet sich an Menschen, die zu uns kommen, um in den Arbeitsmarkt einzuwandern, und ihre Familien. Die Anforderung muss klar lauten: Für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit muss jemand dauerhaft von der eigenen Erwerbsarbeit leben können. Transferempfänger sollten keinen Anspruch auf erleichterte Einbürgerung haben. Als modernes Einwanderungsland müssen wir unsere Interessen definieren und sagen: Die Einladung, Staatsbürger zu werden, richten wir an Menschen, die mit ihrer eigenen Hände Arbeit etwas in unserer Gesellschaft beisteuern. Das ist kein herzloses, sondern ein vernünftiges Kriterium, das eigentlich jedes andere erfolgreiche Einwanderungsland auf der Welt anlegt.

Welche Kriterien sind noch nötig?

Es muss natürlich klar sein, dass künftige Staatsbürger unsere Werte und unsere Rechtsordnung akzeptieren. Der Erwerb und das Erlangen einer Staatsangehörigkeit sind ja etwas Besonderes. Das sollten wir auch zum Ausdruck bringen. Ich hielte es für sinnvoll, dass man stärker mit Einbürgerungsfeiern arbeitet, die mit einem feierlichen Gelöbnis auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung verbunden sind, eine Art symbolischer Eid auf das Grundgesetz. Menschen sind eben nicht nur verkopfte Wesen, sondern haben auch einen Bauch und ein Herz. Deshalb ist es richtig, den Menschen beim Erwerb der Staatsbürgerschaft auch emotional klarzumachen, dass jetzt ein neuer Abschnitt beginnt. Der setzt eine intrinsische Akzeptanz für unsere Werteordnung voraus. Das heißt freilich auch: Wer schwere Straftaten, etwa antisemitisch motiviert, begangen hat, hat als Staatsbürger bei uns nichts verloren. So deutlich muss man es dann auch sagen.

Sie waren jüngst in Israel, was Außenministerin Annalena Baerbock nicht gefallen haben soll, weil sich die Bundesregierung noch nicht auf eine Linie gegenüber der neuen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verständigt hätte. Was konnten Sie der Kollegin berichten?

Die Reise war mit dem Kanzleramt und mit der Außenministerin abgestimmt - sie war mir vor allem ein großes Anliegen. Ich war in Israel, um dort die Rosenburg-Ausstellung zu eröffnen, die sich mit der Geschichte meines Ministeriums beschäftigt. Das ist in eine Zeit gefallen, in der in Israel zu Recht sehr kontrovers über einen Justizumbau gesprochen wird, dessen Umsetzung zu einer deutlichen Schwächung des Obersten Gerichtshofs führen wird. Als Freund Israels habe ich vor Ort meine Sorgen und Bedenken zu dem Vorhaben zum Ausdruck gebracht - in einer angemessenen Art und Weise. Man kann als deutsches Regierungsmitglied nicht nach Israel fahren und sich in die Rolle eines moralisch überlegenen Predigers begeben. Aber man kann seine Haltung klarmachen, und man kann gerade auch mit den Kritikern der Reform Gespräche führen. Genau das habe ich getan.

Es gibt noch Gesetze, die in der Zeit des Nationalsozialismus erlassen wurden und bis heute fortbestehen. Sehen Sie da unerledigte Aufgaben?

Ich habe mich vor Kurzem per Brief an meine Ressortkollegen gewandt. Darin habe ich darauf hingewiesen, dass es immer noch Gesetze und Verordnungen gibt, die Terminologie aus der NS-Zeit verwenden oder in denen vom "Reich" die Rede ist. Das geht von Gesetzen zum Bankenrecht bis zur Heilpraktikerverordnung. Mein Ziel ist es, diese vorkonstitutionellen Restanten zu beseitigen. Ich beziehe mein Haus dabei mit ein. Im Strafgesetzbuch gibt es beispielsweise noch immer Formulierungen bei den Tatbeständen von Mord und Totschlag, die auf die nationalsozialistische Tätertypenlehre der Kieler Rechtsschule zurückgehen.

Das heißt, Sie wagen sich noch mal an die Paragrafen 211 und 212 heran? Einer Ihrer Vorgänger, Heiko Maas, hat das vergeblich versucht.

Es gab in der Tat immer wieder Versuche, das Problem anzugehen. Ich sehe in der Ampel-Koalition eine große Offenheit dafür. Ich habe mir generell vorgenommen, in diesem Jahr den gesamten besonderen Teil des Strafgesetzbuches auf die Höhe der Zeit zu bringen. Entscheiden muss am Ende der Gesetzgeber. Aber ich werbe dafür, dass wir schauen, ob wir hier eine Lösung finden, die im Parlament eine Mehrheit finden kann.

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