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„Das ist Qualitätssicherung"

Bundesjustizminister Marco Buschmann im Interview mit der Abendzeitung München über Konflikte in der Regierungskoalition, das neue Staatsbürgerschaftsrecht und die Letzte Generation

Interviews und Gastbeiträge
Abendzeitung München

Was macht Sie so zuversichtlich, dass die geplanten Grenz-Zentren an den europäischen Außengrenzen, in denen unter haftähnlichen Bedingungen die Vorprüfung der Asyl-Anträge stattfinden soll, nicht genau so in Überbelegung und Chaos enden, wie die „Hotspots“ der EU, die ja einem ähnlichen Ziel dienen sollten?

Die chaotische Situation in der europäischen Asylpolitik kam durch einen Mangel an Vertrauen und Kooperation zustande. Deutschland sagte lange Jahre den Grenzstaaten, dass Migration ihr nationales Problem sei. Die haben es dann zu einem deutschen Problem gemacht, indem sie die Leute nach Deutschland durchgeleitet haben. Jetzt gibt es die Chance auf einen historischen Durchbruch: Wir sorgen für den Schutz von Außengrenzen. An den Außengrenzen entscheiden wir schneller, ob jemand einreisen darf oder nicht. Zudem gehen wir die faire Verteilung der tatsächlich schutzbedürftigen Menschen an. Europa kooperiert, statt sich gegenseitig zu blockieren. Menschen, die keinerlei Aussicht auf ein Bleiberecht haben, werden wir – auch wenn das hart klingt – zurück in ihre Heimat oder in sichere Drittstaaten schicken.

Wie passt die Abschottung Europas zum liberalen Freiheitsgedanken?

Es geht um zwei Dinge. Erstens: Freizügigkeit in Europa ist eine liberale Herzensangelegenheit. Gerade deshalb gilt: Wenn wir im Inneren Freizügigkeit erhalten wollen, brauchen wir stärkere Kontrollen an den Außengrenzen. Denn gegenseitiges Misstrauen unter den Staaten würde zu mehr Kontrollen an den Binnengrenzen führen. Ein Europa der Schlagbäume wäre aber zivilisatorischer Rückschritt. Zweitens: Europa ist ein wohlhabender Kontinent, der viele Menschen anzieht, die hier ein besseres Leben suchen. Das kann man niemandem vorwerfen. Und wir haben eine humanitäre Verpflichtung gegenüber denen, die vor politischer Verfolgung fliehen. Zugleich kann Europa seine Grenzen aber nicht für alle öffnen – unabhängig von Fluchtgrund und Qualifikation. Sonst würden unsere Sozialsysteme überlastet werden, es käme zu innergesellschaftlichen Konflikten und Verwerfungen. Deshalb ist die Reform auch ein Beitrag zur Stärkung unserer liberalen Demokratien.

Wer schon länger hier und gut integriert ist, soll künftig schneller Deutscher werden können. Er muss nicht mehr acht Jahre warten, sondern fünf oder gar nur drei. Was sind die wichtigsten Punkte bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, auf die sich die Ampel unlängst geeinigt hat?

Wir bringen mehr Ordnung in die Migrationspolitik. Es gibt einerseits die humanitäre Migration, bei der wir Menschen, die in Not sind, vorübergehend Schutz gewähren. Die müssen in der Regel zurückkehren, wenn die schwierige Situation in ihrer Heimat vorbei ist. Andererseits brauchen wir Einwanderung in den Arbeitsmarkt für Menschen, die arbeiten können und wollen. Auch dafür modernisieren wir gerade das Staatsangehörigkeitsrecht. Es soll Anreiz für qualifizierte Menschen sein, nach Deutschland zu kommen und hier unseren Wohlstand zu mehren. Wir verbinden wirtschaftliche Vernunft und Weltoffenheit. Heißt: Wer Sozialleistungen wie Bürgergeld oder Grundsicherung bezieht, wird im Regelfall nicht den deutschen Pass bekommen können. Deutlich einfacher wird der Erwerb der Staatsangehörigkeit hingegen für die, Leute, von denen wir wollen, dass sie dauerhaft bei uns bleiben: Menschen, die mit uns leben, sich hier gesellschaftlich engagieren und hier arbeiten, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen und unsere Werte teilen. Das ist gerecht – und in unserem eigenen Interesse. Der Mangel an Arbeitskräften ist eine der größten Gefahren für unseren Wohlstand. Wir wollen, dass Deutschland ein moderner Einwanderungsstaat wird.

Zurück zum Höhenflug der AfD. Es gibt Stimmen, die den Dauerstreit in der Ampel dafür mitverantwortlich machen, Stichwort: Gebäudeenergiegesetz.

Hätte man den ursprünglichen Entwurf des Wirtschaftsministeriums unverändert durchs Parlament gejagt, wäre das zwar schnell und vorübergehend geräuschlos gewesen. Der Aufschrei der Menschen danach wäre aber umso größer geworden. Die Leute wären noch verärgerter, weil sie das Gefühl hätten, dass die Politik ihre konkreten Sorgen nicht ernst nimmt. Ich halte es für richtig, dass wir jetzt eine Debatte darüber führen, wie wir im Gebäudesektor CO2 einsparen – ohne die Menschen zu überlasten. Es ist doch besser, sich etwas Zeit zu nehmen, damit es ein gutes Gesetz wird, das auf Akzeptanz in der demokratischen Mitte stößt und niemanden verunsichert.

Wie bewerten Sie den Vorstoß, der zuletzt aus der SPD zu hören war? Wärmepumpen oder Hybridheizungen sollen nur in Neubauten Pflicht werden. Der Austausch alter Heizungen in Bestandsbauten soll freiwillig bleiben und sozial gestaffelt gefördert werden.

Zwischen Neu- und Bestandsbau einen Unterschied zu machen, ist eine gute Sache, für die wir uns auch einsetzen. Im Neubau ist die Wärmepumpe ohnehin schon oft der Regelfall. Je mehr Flexibilität es bezüglich der Bestandsbauten gibt, desto sympathischer finde ich das. Wir müssen aber aufpassen, dass wir den Menschen bei den Förderkulissen nicht zu viel versprechen. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass der Staat nicht mehr im Geld schwimmt. Diese Zeiten sind vorbei.

Sie machen selbst Musik. Wie würden Sie den Sound der Ampel aktuell beschreiben?

Wir sind drei unterschiedliche Parteien. Und weil wir so unterschiedlich sind, haben wir die Chance, Kompromisse zu finden, die viele Konflikte in der Gesellschaft beseitigen können. Dafür müssen wir die aber auch mal hinter verschlossenen Türen austragen. In der Musik gibt es ein ähnliches Konzept: den Kontrapunkt, wenn mehrere Melodien scheinbar gegeneinander arbeiten, aber dann doch ein Ganzes ergeben. Der größte Meister des Kontrapunktes war Johann Sebastian Bach, der Fugen mit fünf-, sechs-, siebenstimmigen Kontrapunkten geschrieben hat. Dagegen ist die Ampel eine ganz einfache dreistimmige Fuge.

Die Menschen im Land diskutieren nicht nur über das Heizungsgesetz, sondern auch über die Letzte Generation. Sie haben die Klebe-Aktionen mit den Straßenschlachten der 1920er und 1930er verglichen. Ist das nicht ein bisschen übertrieben?

Ein solcher Vergleich wäre übertrieben, wenn ihn jemand angestellt hätte. Ich habe erklärt, warum ich so viel Wert darauf lege, dass die roten Linien des Strafrechts eingehalten werden. Meine Antwort ist: Wenn wir einem Teil des politischen Spektrums – beispielsweise der Klima-Bewegung – erlauben, ungestraft Menschen zu nötigen und fremdes Eigentum zu beschädigen, dann beanspruchen das womöglich auch andere Teile des politischen Spektrums für sich. Dann hat man demnächst Querdenker oder andere Radikale, die auf die Straße gehen – und irgendwann aufeinander los. Eine solche potenzielle Gewaltspirale sollten wir möglichst früh unterbrechen, damit wir eben nicht eines Tages dort landen, wo wir in diesem Land schon einmal waren – nämlich bei Straßenschlachten.

Die Razzien und Beschlagnahmungen bei Mitgliedern der Gruppe werden sehr kontrovers bewertet. Was sagen sie: War dieses Vorgehen angemessen?

Darüber haben am Ende Gerichte zu entscheiden. Lassen wir sie ihre Arbeit machen.

Klima-Kleber werden in der Regel zu Geldstrafen verurteilt, manchmal auch zu ein paar Monaten Haft. Braucht es zur Abschreckung schärfere Gesetze?

Das glaube ich nicht. Unsere Strafgesetze geben bereits einen angemessenen Strafrahmen. Auch etwa Straßenblockaden können mit Freiheitsstrafen geahndet werden, wenn es tat- und schuldangemessen ist. Die Gerichtspraxis ist dazu auch übergegangen. Das ist auch eine Folge davon, dass manche Angeklagte keinerlei Einsicht zeigen. Es gab ja Fälle regelrechter Serientäter, die teilweise noch im Gerichtssaal angekündigt haben, sich wieder auf die Straße zu kleben. Deshalb sprechen die Gerichte jetzt auch Freiheitsstrafen ohne Bewährung aus. Das heißt: Die Täter gehen ins Gefängnis. Von solchen Urteilen geht ein sehr deutliches Signal aus.

Wie weit darf ziviler Ungehorsam Ihrer Meinung nach gehen?

Ich halte die Rede vom „zivilen Ungehorsam“ in unserem demokratischen Rechtsstaat nicht für unproblematisch. Der Begriff ist eine vornehme Ummantelung einer ziemlich schlichten Idee: Manche Anliegen sollen so wichtig sein, dass es legitim ist, dafür Recht zu brechen. Doch wie lässt sich das sinnvoll eingrenzen? Ich finde es schwierig, wenn Teile des politischen Spektrums sich für so wichtig und bedeutsam halten, dass sie sich über demokratisch zustande gekommene Gesetze hinwegsetzen, die für alle anderen gelten. Vor dem Gesetz sind alle gleich.

In Bayern ist es möglich, Menschen einen – und sogar zwei Monate – in Präventivhaft zu nehmen, was bei Klimaaktivisten auch angewendet wurde. Ist das verhältnismäßig?

Präventivhaft bedeutet ja, dass man jemanden einsperrt, weil man annimmt, dass er eine Straftat erst noch begehen wird. Das ist ein schwerer Bürgerrechtseingriff, der sehr gut begründet sein muss und sich auf den unbedingt notwendigen Zeitraum beschränken sollte. Dass Menschen, bei denen man nur angenommen hat, dass sie künftig vielleicht ein Gesetz brechen, sofort in eine Zelle gesteckt wurden, während Gerichte gegen Klima-Kleber, bei denen feststand, dass sie das Gesetz gebrochen haben, zum Teil nur Geldstrafen ausgesprochen haben, war ein Missverhältnis. Das macht vielen Verfassungsjuristen Sorgen. Ich würde all jenen, die in eine solche Situation geraten, empfehlen, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme von der Justiz klären zu lassen. Das ist in unserem Rechtsstaat ja sehr gut möglich.

Der Bundespräsident hat soeben die Wahlrechtsreform der Ampel unterzeichnet. Durch den Wegfall von Ausgleichs- und Überhangmandaten sowie der Grundmandatsklausel kann es passieren, dass gewählte Direktkandidaten künftig nicht mehr in den Bundestag einziehen. Die CSU hat eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Wird es die Verfassungskonformität des Gesetzes bestätigen?

Der Bundestag muss kleiner werden! Im Parlament sitzen weitaus mehr Abgeordnete, als es das Bundeswahlgesetz als Normalfall vorsieht. Viele Bürger haben kein Verständnis dafür, dass sich die Abgeordneten quasi von selbst vermehren, die Arbeitsfähigkeit sinkt und die Kosten steigen. Die CSU hat eine Reform über Jahre blockiert. Ich finde es schon ein starkes Stück, dass jetzt ausgerechnet die Partei, die jeden Fortschritt bei dem Thema blockiert hat, diejenigen beschimpft, die das endlich angehen, und ihnen Verfassungsbruch vorwirft. Der Bundespräsident hat das Gesetz unterschrieben. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass es auch in Karlsruhe Bestand hat.

Im Oktober wird im Freistaat gewählt – wie zuversichtlich sind Sie, dass sich die Pechsträhne der FDP nicht fortsetzt und sie im Landtag bleibt? Im letzten Bayerntrend lagen die Liberalen bei vier Prozent.

Die bayerische FDP ist quicklebendig. Sie hat mit Martin Hagen einen blitzgescheiten Fraktionsvorsitzenden, der ein guter Redner ist und keinerlei Angst davor hat, schwierige Debatten zu bestreiten. Das ist eine gute Voraussetzung. Und es werden sich genug Menschen in Bayern wünschen, dass es so einen liberalen Tempomacher gibt, für den nicht Lautstärke entscheidend ist, sondern, dass man Dinge vorantreibt.

Es gibt aber auch Menschen, die den Eindruck haben, die FDP bremse ständig alles aus.

Das ist eine Fehl-Wahrnehmung. Ich selbst habe eins der ersten Gesetze dieser Regierung auf den Weg gebracht, das dem gesellschaftlichen Fortschritt diente: die Abschaffung des Paragrafen 219a, der Frauen früher die Möglichkeit genommen hat, sich bei Ärzten im Internet über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Wir sind im Justizministerium Vorreiter bei der Digitalisierung, der Planungsbeschleunigung und dem Bürokratieabbau. Wir haben bei vielen Themen Tempo gemacht. Aber wenn etwas – wie jetzt das Gebäudeenergiegesetz – nicht ausgewogen ist, muss es in der Montagehalle eben noch mal bearbeitet werden. Das ist nicht bremsen, sondern Qualitätssicherung.

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