Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.
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Kein Zeitdruck? Warum ist die Verabschiedung des Heizungsgesetzes nicht eilig?
Etwa in der Coronapandemie gab es einen objektiven Zeitdruck auf die Gesetzgebung. Es war eine Gefahrenabwehrsituation, da mussten Gesetze schnell zur Gefahrenabwehr entstehen. Das Gebäudeenergiegesetz in seiner neuen Form greift ja ohnehin erst richtig, wenn eine kommunale Wärmeplanung vor Ort vorbereitet ist. Bis es soweit ist, wird es vermutlich noch einige Zeit dauern. Ich verstehe zwar, dass die schnelle Verabschiedung des Gesetzes von manchen politisch gewünscht ist. In der Sache ist sie aber nicht objektiv so dringlich, dass es auf ein paar Wochen ankäme.
Finden Sie es denn problematisch, wenn komplexe Gesetze so hastig durch den Bundestag gejagt werden?
Einer der härtesten Vorwürfe des Autoritarismus gegen die Demokratie lautet, die Demokratie könne nicht schnell entscheiden. Aber das stimmt nicht. Bei den LNG-Terminals haben wir gezeigt, dass auch Demokratien schnell und entschlossen entscheiden können. Manchmal müssen wir das auch. Die Abfolge der drei Lesungen im Bundestag und die Fristen, die dafür gelten, tragen aber im Regelfall dazu bei, dass Gesetze besser werden. Ich werbe dafür, sie nicht zu verkürzen und schnelle Verfahren weiter nur zur Ausnahme zu machen.
Braucht es dafür Mindestvorgaben aus Karlsruhe oder vielleicht sogar eine Grundgesetzänderung?
In den Geschäftsordnungen sind solche Regeln niedergelegt. Die hat das Bundesverfassungsgericht bislang auch nicht beanstandet. Wann es im Rahmen der Regeln besonders schnell gehen soll, das muss der Bundestag selbst entscheiden – mit Mehrheit.
Herr Buschmann, Sie sind bei Twitter sehr aktiv sind, sie haben dort vehement gegen die Klimaaktivisten der Letzten Generation Stellung bezogen, jeder müsse sich an Recht und Gesetz halten. Ein FAZ-Kollege nannte das neulich "eine dauernde Duplikation ministerieller Durchsagen". Was versprechen sie sich von diesen Tweets?
In der Öffentlichkeit taucht immer wieder die Behauptung auf, wer sich für ein legitimes Ziel wie den Klimaschutz einsetzt, der dürfe sich entweder aus zivilem Ungehorsam oder Notstand heraus über rote Linien des Strafrechts hinwegsetzen. Ich finde, es ist meine Aufgabe als Justizminister klarzustellen, dass das kein akzeptabler Grund ist. Ich habe keine Lust, dass irgendwann auf unseren Straßen alle möglichen Gruppen, sich durch Selbstermächtigung aufgrund angeblich nobler Ziele über das Strafrecht hinwegsetzen, das ja am Ende uns alle schützt. Das ist eine Aufgabe des Bundesjustizministers.
Bringt eine so monumentale Zukunftsaufgabe wie der Kampf gegen Klimawandel demokratische Entscheidungsprozesse an ihre Grenzen? Wenn jetzt eine Mehrheit die eigene Lebensspanne in den Vordergrund stellt, ist das ein Problem für demokratische Zukunftsentscheidungen?
Autoritär inspirierte Antworten à la Rettungsdiktatur halte ich für völlig verfehlt. Die Begeisterung, mit der einige prominente Anhänger der Klimabewegung nach China geschaut haben, ist angesichts eines Bau-Booms von Kohlekraftwerken dort schnell wieder abgeklungen. Natürlich sind Demokratien auch an den Grundsatz intertemporaler Gerechtigkeit gebunden. Eine solche Generationengerechtigkeit steckt in der Schuldenbremse: Auch eine gegenwärtige politische Mehrheit kann nicht frei finanziell disponieren ohne Rücksicht auf die Folgen für die Zukunft. Das haben wir in der Verfassung verankert. Was den Klimaschutz angeht, hat das Bundesverfassungsgericht dazu eine Entscheidung getroffen. Es hat dem Gesetzgeber aufgeben, die Lasten aus der Klimaschutzpolitik fair und möglichst gleichmäßig über Generationen zu verteilen.
Sie kommen gerade vom G-7-Justizministertreffen zum Ukraine-Krieg aus Tokio zurück, was haben Sie mitgenommen?
Eine Botschaft hat mich besonders fasziniert. Japan hatte auch die ASEAN-Staaten, wie etwa Indonesien, Thailand, Vietnam, zu einem gemeinsamen Gespräch eingeladen. Das sind Staaten, die bislang zurückhaltend mit öffentlichen Bekenntnissen zu Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit waren. Nun aber haben sie sich geschlossen dazu bekannt. Damit ist endgültig klar: Die russische Propaganda, wonach Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ein westliches Konstrukt seien, das der Westen der Welt aufoktroyieren wolle, ist eine Lüge. Rechtsstaat und Menschenrechte sind Werte der gesamten zivilisierten Menschheit.
Haben Sie mit den europäischen Kollegen auch über die Sanktionsdurchsetzung sprechen können? In einem Gastbeitrag für LTO mit Ihrem französischen Amtskollegen hatten Sie Ende 2022 gefordert, dass die Europäische Staatsanwaltschaft übernehmen sollte?
Die Verschleierung der Herkunft von Vermögen, Immobilien, Schiffen, Flugzeugen, läuft häufig über internationale Netzwerke. Deshalb wäre es gut, die Europäische Staatsanwaltschaft mit der Aufgabe zu betrauen, Verstöße gegen Sanktionsvorschriften strafrechtlich zu verfolgen. Um den Vorstoß haben sich mittlerweile zehn Unterstützerstaaten versammelt und die EU-Kommission prüft jetzt das weitere Vorgehen.
Kommen wir zurück nach Deutschland, fiebern sie schon dem 8. Oktober entgegen?
Den Wahlen in Bayern und Hessen? Der Bundesminister der Justiz schaut nicht auf Wahltermine.
Ein Entwurf für eine anlassbezogene IP-Adressenspeicherung liegt mit dem Quick-Freeze-Verfahren schon lange auf dem Tisch. Dabei haben Sie sehr deutlich gemacht, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, wie sie Frau Faeser fordert, mit Ihnen nicht zu machen ist. Wieviel Luft ist denn da für einen Kompromiss?
Ich war selbst am Verhandlungstisch und - ohne das Beratungsgeheimnis zu verletzen - kann ich sagen, dass wir in den Koalitionsverhandlungen über die Formulierung zu Quick Freeze lange und ausführlich diskutiert haben. Mit jeder Silbe ist klar, was dort gemeint war: Keine anlasslose Speicherung von Daten. IP-Adressen sind Daten. Daher kann es keine anlasslose Speicherung von IP-Adressen geben. Das ist schon der Kompromiss, der im Koalitionsvertrag steht. Wir sollten uns als ehrliche Kaufleute an diese Verabredung halten. Dafür werbe ich – und halte es in der Sache für richtig.
Ein wichtiges rechtspolitisches Anliegen ist Ihnen die Digitalisierung der Justiz. Sie haben die Aufzeichnung der strafgerichtlichen Hauptverhandlung, Videoverhandlungen im Gerichtssaal und als neuestes eine Art ChatGPT für die Justiz auf den Weg gebracht. Stimmen aus dem Justizalltag berichten von ganz anderen Problemen: Dateiformate der Staatsanwaltschaften sind nicht kompatibel, Dokumente müssen ausgedruckt und wieder eingescannt werden.
In der Tat ist mir die Digitalisierung der Justiz ein besonderes Anliegen. Gemeinsam mit den Ländern machen wir jetzt gute Fortschritte – im Großen wie im Kleinen. Natürlich mag da jemand zaudern: Sprach-KI klinge so utopisch, deshalb gehen wir das gar nicht erst an. Aber solches Denken in Prokrastination hat unseren Staat digital rückständig werden lassen. Das müssen wir ändern, wenn wir die Akzeptanz und den Respekt der Menschen erhalten wollen. Denn die Menschen arbeiten in ihren Berufen digital oder buchen in ihrer Freiheit wenigen Minuten einen Streamingdienst mit ihrer Kreditkarte. Und natürlich haben sie die Erwartung, dass auch ihr Staat und seine Gerichte so effektiv, schnell und serviceorientiert arbeiten. Ein Ziel der Digitalisierungsinitiative von Bund mit den Ländern ist es zum Beispiel, die von Ihnen beschriebenen Medienbrüche bei bereits digitalisierten Abläufen zu beenden. Hier geht es auch um einheitliche IT-Standards in der Justiz, deren Machbarkeit wir gemeinsam mit den Ländern prüfen. Das ist eine Mammut-Aufgabe, aber wir gehen sie gemeinsam konsequent an.
Ein Thema, das aus der Öffentlichkeit weitgehend verschwunden ist: Die Corona-Pandemie. Zugleich liegt eine Zeit, mit massivsten Grundrechtseinschränkungen hinter uns. Ihr Fraktionskollege Andrew Ullmann hat eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie und ihrer Maßnahmen gefordert – braucht es das?
Jedes Staatswesen tut gut daran, nach einer so einschneidenden Situation mit etwas Abstand noch mal zu reflektieren: Wie haben wir eigentlich reagiert? Was haben wir gut gemacht und was haben wir nicht gut gemacht? Ich finde es zum Beispiel sehr respektabel, dass mittlerweile auch der Gesundheitsminister entgegen seiner früheren Ansicht öffentlich sagt, dass die Große Koalition im Umgang insbesondere mit Schülerinnen und Schülern, mit den jungen Menschen, mit den Studierenden überreagiert hat. Es ist ja ein Zeichen der Stärke von Politik, wenn sie einen Erkenntnisfortschritt zeigt. Ich bin aber auch der Meinung, dass eine solche Nachbetrachtung von unabhängiger Stelle geschehen sollte. Als Abgeordneter finde ich es deshalb eine gute Idee, wenn der Bundestag eine Enquetekommission mit unabhängigen Sachverständigen einsetzen würde.
Ein weiteres rechtspolitischen Vorhaben ist das Selbstbestimmungsgesetz. Kritiker werfen Ihnen vor, Sie befeuern mit der Möglichkeit das eingetragene Geschlecht zu ändern, einen Kulturkampf, kritische Stimmen aus Gruppen von der anderen Seite sehen sich noch nicht ausreichend berücksichtigt.
In der öffentlichen Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz treffen teilweise zwei unversöhnliche Weltanschauungen aufeinander: Ein harter Empirismus, der nach seinem Verständnis allein mit äußeren biologischen Fakten argumentiert und keinen Raum für die Identität eines Menschen anerkennt; und ein radikaler Konstruktivismus, der sagt, Biologie sei völlig unerheblich. Was dabei oft unter den Tisch fällt: Unser Gesetzentwurf verhält sich gar nicht zu diesem weltanschaulichen Konflikt. Weder schreiben wir einen radikalen Konstruktivismus ins Gesetz noch einen radikalen Empirismus. Niemand schafft die Geschlechter ab. Wir sind indes überzeugt: Der Staat muss die geschlechtliche Identität von Menschen akzeptieren; er darf ihnen das Leben nicht unnötig schwer machen; denn im liberalen Verfassungsstaat haben die Menschen Rechte, sie haben Würde. Und davon umfasst ist auch das Recht auf Achtung der geschlechtlichen Identität. Nur darum geht es beim Selbstbestimmungsgesetz.
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wollten Sie schon so gut wie fertig sein, nun verschiebt auch dieses Gesetz bis nach der Sommerpause: Wo hakt es denn aus Ihrer Sicht da gerade noch?
Zuletzt gab es aus dem Innenministerium noch mal eine Reihe von melderechtlichen Bedenken. Man befürchtet dort, Straftäter könnten ihren Geschlechtseintrag ändern, um die eigene Identität etwa vor Strafverfolgungsbehörden zu verschleiern. Auch diese Sorge entkräften wir, weil wir dieses Anliegen ja natürlich teilen. Meine Hoffnung ist, dass der Entwurf zum Ende der Sommerpause ins Kabinett kommt.
Herr Buschmann, es heißt, Sie gehen jeden Morgen zu Fuß ins Büro, lesen dabei oder machen sich abseitigere Gedanken. Was hat Sie heute Morgen auf dem Weg beschäftigt?
Heute Morgen bin ich mit meiner Frau zusammen zur Arbeit gelaufen. Das ist natürlich viel schöner, als im Gehen ein Buch zu lesen. Ansonsten lese ich zur Zeit die Biografie von Moritz Julius Bonn, ein Ökonom, der in der Weimarer Republik für liberales Denken geworben hat. Leider nicht nur erfolgreich, wie die Geschichte gezeigt hat.
Herr Buschmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.