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"Ich will Greenwashing-Bürokratie stoppen"

Schwerpunktthema: Interview

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann spricht im Interview mit der FAZ u.a. über den Bürokratieabbau und die Erfüllung von EU-Vorgaben.

Interviews und Gastbeiträge
Frankfurter Allgemeine Zeitung

FAZ: Herr Minister, nicht erst jetzt im Europawahlkampf schieben Sie Brüssel den schwarzen Peter für die ausufernde Bürokratie zu. Aber ohne Zustimmung der nationalen Regierungen gäbe es auch keine Bürokratiemonster der EU.

Dr. Marco Buschmann: „Schwarzer Peter-Spiele“ interessieren mich nicht. Wir haben das größte Bürokratie-Entlastungspaket in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg gebracht. Der Bürokratiekostenindex, der Belastungen durch Bundesrecht misst, ist auf seinem Allzeittief. Aber zur Wahrheit gehört auch: 57 Prozent der bürokratischen Belastung kommen aus Brüssel. Und das Monopol für die Gesetzgebungsinitiative liegt bei der Kommission. Mit Ursula von der Leyen haben wir eine sehr regulierungsfreudige Kommissionspräsidentin. Auch Parlament und Rat tragen dazu bei, dass immer neue bürokratische Lasten entstehen. Die Verhandlungsprozesse führen manchmal zu bürokratiesteigernden Kompromissen. Wir müssen uns öfter fragen: Muss diese Berichtspflicht wirklich sein? Kann sie einfacher gestaltet werden? Was für Kosten gehen damit einher? Bürokratieabbau stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit. Europa ist ein grandioses Freiheits- und Wohlstandsprojekt. Unter Ursula von der Leyen droht es allein zur Bürokratiemaschine zu werden.

Mit der geplanten Richtlinie zur Eindämmung von „Greenwashing“ würde noch eine Schippe obendrauf gelegt. Sie wollen nicht mitmachen, so dass Deutschland sich diese Woche bei der Abstimmung in Brüssel – mal wieder – enthalten musste...

Natürlich ist es ein Problem, wenn ein Unternehmen den Markt über die Klima- oder Umweltfreundlichkeit von Produkten belügt. Aber dagegen gibt es heute schon Mechanismen. Verbraucher oder Wettbewerber können wegen irreführender Werbeaussagen vor Gericht ziehen. Der Wettbewerb sorgt dafür, dass solche Falschaussagen aufgedeckt und sanktioniert werden.

Aber was haben Sie dagegen, dass Unternehmen den Kunden Belege liefern müssen, wenn sie Produkte als klima- und umweltfreundlich anpreisen?

Der Prüfaufwand für das geplante Zertifizierungsverfahren ist viel zu hoch: Jede umweltbezogene Werbeaussage muss erst vor Verwendung von einem privaten Umweltgutachter umfangreich geprüft werden. Die Kommission selbst schätzt, dass den Unternehmen Kosten in Höhe von bis zu 54.000 Euro pro Umweltaussage allein für die geplante Zertifizierung entstehen. Das wäre das falsche Signal in Zeiten, in denen wir um neue wirtschaftliche Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit kämpfen müssen. Am Ende muss alles noch staatlich überwacht werden. Es kursieren Szenarien, dass Deutschland wohl zusätzlich mehrere hundert Beamte bräuchte, um den Prüfaufwand zu erfüllen – und das in Zeiten von Fachkräftemangel und leeren Kassen.

Aber die Gerichte müssen jeden Einzelfall entscheiden. Ein Zertifizierungsverfahren für Werbeaussagen zum Umwelt- und Klimaschutz würde die Justiz entlasten. Das ist doch auch Ihr Ziel.

Wenn es zu Verurteilungen wegen Greenwashing kommt, hat das einen abschreckenden Effekt. Andere Unternehmen werden sich danach richten, weil sie nicht ebenfalls vor Gericht landen und dort verlieren möchten. Außerdem wäre es natürlich Augenwischerei zu sagen, wir entlasten die Gerichte, indem wir an anderer Stelle ein aufwändiges Verfahren und hunderte neue Stellen schaffen. Da wäre ja unterm Strich nichts gewonnen.

Strapazieren Sie das ohnehin schlechte Koalitionsklima nicht über Gebühr, indem Sie Umweltministerin Lemke an der Zustimmung hindern?

Es geht um eine gute Lösung für den europäischen Binnenmarkt und für Deutschland. Dazu gehört, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit steigern, um Wohlstand zu sichern. Das funktioniert nur, wenn wir unseren Unternehmen keine unangemessenen Lasten aufbürden. Deswegen will ich die Greenwashing-Bürokratie stoppen.

Aber kein anderes großes EU-Land ist bislang dagegen. Kann die FDP es sich nach ihrer Niederlage beim EU-Lieferkettengesetz leisten, schon wieder als Quertreiber in Brüssel aufzutreten?

Die Lieferketten-Richtlinie wurde durch unseren Druck deutlich verändert. Mehr als ein Dutzend Mitgliedstaaten hat sich an die Seite Deutschlands gestellt.  Aber der Widerstand hatte einen wirksamen Effekt, auch wenn ich mir noch mehr Änderungen gewünscht hätte. Jetzt werden wir sehen, wie sich die Dinge rund um die Greenwashing- Richtlinie entwickeln, in Brüssel, aber auch in den Mitgliedstaaten. Ich höre da auch Skepsis aus anderen Ländern.

Demnächst gibt es noch mehr Berichtspflichten. Unternehmen müssen Informationen zu Chancen und Risiken ihrer Geschäftsmodelle für Ökologie und Menschenrechte liefern. Ihr Haus geht bei der Umsetzung noch weiter als Brüssel verlangt. Warum?

Nein, das tun wir nicht. Die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ist eine Pflichtaufgabe. Sie ist geltendes EU-Recht, das ich umsetzen muss. Freilich habe ich bereits öffentlich vor den Bürokratielasten gewarnt. Daher setzen wir die Richtlinie nach dem Prinzip 1:1 um. Es darf nicht zu mehr Belastungen kommen, als das EU-Recht unbedingt verlangt.

Aber der Bundesverband der Deutschen Industrie sieht in Ihrem Gesetzentwurf teilweise eine Übererfüllung der EU-Vorgaben.

Wenn es Vorschläge gibt, wie wir das noch schlanker gestalten können, werden wir uns das genau anschauen. Manchmal gibt es unterschiedliche Ansichten dazu, was eine Richtlinie zwingend verlangt. Genau dafür beteiligen wir ja Länder und Verbände, damit wir noch Hinweise aus der Praxis aufnehmen können. Wo immer es rechtlich vertretbar ist, werden wir das entsprechend berücksichtigen.

Wieso braucht es überhaupt die Nachhaltigkeitsrichtlinie? Es gibt doch schon reichlich Regulierung zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt.

Das ist eine sehr berechtige Frage, die ich mir auch stelle. Deswegen werbe ich dafür, dass die nächste Legislaturperiode nach der Europawahl eine Periode des Bürokratieabbaus in Brüssel wird. Gemeinsam mit Frankreich haben wir auch schon eine entsprechende Initiative gestartet, die beim Besuch von Präsident Macron Ende Mai weiter vorangetrieben wurde.

Warum haben Sie der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung denn 2022 im Ministerrat zugestimmt?

Die Verhandlungen, die die Vorgängerregierung geführt hatte, waren – unter damals französischer Präsidentschaft - praktisch abgeschlossen. Ich war erst wenige Wochen im Amt. Es hätte Deutschland isoliert, wenn wir in letzter Minute versucht hätten zu stoppen, was die Vorgängerregierung zugesagt hatte. Deswegen war es mir auch wichtig, dass wir etwa beim EU-Lieferkettengesetz so frühzeitig klar gemacht haben, wo die roten Linien verlaufen. Diese wurden nicht eingehalten. Deswegen war es konsequent, dagegen zu stimmen.

Wirtschaftsverbände kritisieren, Ihr Haus beschönige die Kosten für die Nachhaltigkeitsberichte. Es seien im Durchschnitt nicht 100.000 Euro jährlich, sondern eher 300.000 bis 450.000 Euro jährliche Kosten für die Wirtschaft.

Ich habe überhaupt kein Motiv, irgendetwas schönzureden, da ich über die Belastungen für die Unternehmen selbst sehr unglücklich bin und das auch öffentlich transparent gemacht habe. Im Übrigen werden die Kostenschätzungen solcher Gesetzentwürfe mit Hilfe des Statistischen Bundesamts erstellt und vom Nationalen Normenkontrollrat auf Plausibilität geprüft.  Natürlich schaue ich mir die kritischen Hinweise aber genau an.

Aber selbst nach den Berechnungen Ihres Hauses kämen wegen der neuen Berichtspflichten jährliche Mehrkosten von rund 1,4 Milliarden Euro auf die Wirtschaft zu. Das heißt, die Erleichterungen durch das Bürokratieentlastungsgesetz IV werden mehr als aufgezehrt.

Die Rechnung stimmt leider. Manchmal komme ich mir selbst wie Sisyphos vor. Frau von der Leyens Kommission produziert schneller neue Regulierung nach, als ich im deutschen Recht abbauen kann. Aber mit dem Bürokratieabbaupaket von Meseberg haben wir einen wichtigen Schritt gemacht. Wir entlasten damit Jahr für Jahr um drei Milliarden Euro. Doch die Wahrheit bleibt: Bürokratieabbau kann nur gelingen, wenn alle mit anpacken - Bund, Länder und EU.

Doch erst einmal müssen die Unternehmen Informationen zur Nachhaltigkeit liefern. Teilweise sagen sie, das sei nicht möglich, etwa bei einem Produkt mit rund zwei Dutzend Bestandteilen aus verschiedenen Nicht-EU-Staaten. Was dann?

Ja, genau das ist das Problem. Der Regulierungsdschungel ist so dicht, dass selbst seine Schöpfer den Überblick verlieren. Vor kurzem kündigte die Kommission einen Abbau von 25 Prozent der Berichtspflichten an. Daraufhin fragte der Abgeordnete Moritz Körner, ob der Kommission überhaupt bekannt sei, was die Basis von 100 Prozent der Berichtspflichten sei. Die Antwort konnte die Kommission nicht liefern. Brüssel hat selbst keinen Überblick mehr. Deshalb ist unsere deutsch-französische Entlastungsinitiative so wichtig.

Die Unternehmen müssen auch Berichtspflichten nach den Lieferkettengesetzen erfüllen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass sie nicht doppelt und dreifach Berichte liefern müssen?

Mein Vorschlag ist, dass Unternehmen, die nach den europäischen Vorgaben berichten, dann nicht mehr über das deutsche Lieferkettengesetz berichten müssen. Dieser Vorschlag ist Teil meines Umsetzungsentwurfs.

Und was sagt Minister Heil dazu, der die Federführung für das deutsche Lieferkettengesetz hat?

Wir befinden uns in kollegialen Gesprächen. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden.

"Ich will Greenwashing-Bürokratie stoppen", FAZ.NET vom 06.06.2024 von Katja Gelinsky © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

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