„Wenn Europa nicht mitzieht, gelingt der Bürokratieabbau nicht“
Schwerpunktthema: Interview
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann spricht im Interview mit dem Focus u.a. über den Bürokratieabbau und die neuen EU-Nachhaltigkeitsberichtspflichten.
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Focus
Focus: Herr Buschmann, wann haben Sie sich das letzte Mal ganz persönlich über Bürokratie geärgert?
Als Minister leite ich ein Ministerium. Da gerät man selbst in den Sog der Bürokratie. Denn auch im Staat kämpft man gelegentlich wie gegen Windmühlen. Ich hatte mal um die Beschaffung dienstlicher Kreditkarten gebeten, um Aufwand aus Papierabrechnungen und händischen Rechnungskontrollen zu reduzieren. Ich habe nicht geahnt, was dieser kleine Wunsch an bürokratischen Folgen ausgelöst hat.
Eigentlich ist das Thema Bürokratieabbau im Wirtschaftsministerium angesiedelt. Stimmt die Anekdote, dass der dortige Amtsinhaber Robert Habeck fand, das Thema sei bei einem FDP-Minister besser aufgehoben?
In der Tat hat sich früher immer das Wirtschaftsministerium um Bürokratieabbaugesetze und das Kanzleramt um den Nationalen Normenkontrollrat gekümmert. Beide Zuständigkeiten sind zu mir gewandert. Einem Liberalen macht Bürokratieabbau sicher mehr Freude als anderen. Traditionell sind wir ja etwas staatsskeptischer als unsere Koalitionspartner. Entsprechend wichtig ist es mir auch, hier greifbare Erfolge zu erzielen.
Mit Verlaub: Macht man mit Ihnen nicht den Bock zum Gärtner? Die Justiz ist doch eher Teil des Problems als der Lösung, oder?
Das wird gern behauptet, ist aber falsch! Gute Juristen sind präzise, aber sie wissen auch: Wenn ein Regelungssystem zu komplex wird, kann es mehr Schaden anrichten, als es Nutzen verspricht. An diesem Leitbild orientiere ich mich: Eine klare, präzise Regelung sollte immer auch schlank sein. Und für gute Gesetzessprache und Rechtsförmlichkeit ist das Justizministerium ohnehin zuständig. Deshalb passt der Bürokratieabbau in Wahrheit in kein Ministerium so gut wie in das für Justiz.
Zuerst hat man Verwaltung jahrzehntelang aufgebaut. Nun beschwert die sich, der eigenen Regeln nicht mehr Herr zu werden, und verlangt mehr Personal. Was lief da schief?
Es kommen mittlerweile drei Dinge zusammen. In einem Rechtsstaat braucht man ein gewisses Maß an regelbasierter Ordnung. Aber die Dosis macht das Gift. Wir haben es einfach mengenmäßig übertrieben. Zweitens sind wir in Deutschland nicht mehr die alleinigen Normengeber. Über die Hälfte der bürokratischen Last kommt aus der EU. Gerade in der Amtszeit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist die Zahl der Richtlinien und Regulierungen enorm angewachsen.
Und drittens?
Unternehmen, Arbeitsmarkt und Wirtschaft generell erleben gerade eine große Transformation. Fachkräfte im demografischen Wandel zu finden, die Digitalisierung zu stemmen und international wettbewerbsfähig zu bleiben – das alles kostet Firmen unglaublich viel Energie und wird in Zeiten von KI und geopolitischen Unsicherheiten auch nicht aufhören. Jede Regelung, die eigentlich nicht nötig ist, wiegt in solchen Zeiten doppelt schwer, weil sie die besonders knappen Aufmerksamkeits- und Personalressourcen von diesen wichtigen Dingen abzieht. Wir wollen den Unternehmen Ballast von den Schultern nehmen. Weniger Zettel, mehr Wirtschaft – darum geht es.
Die Union kritisiert, dass auch durch das Gebäudeenergiegesetz der Ampel viele neue Regeln entstanden sind.
Das Heizungsgesetz bedeutet tatsächlich mehr Bürokratie. Was die Bundesgesetzgebung angeht, sind wir jetzt ansonsten auf einem guten Weg: Wir entlasten unsere Unternehmen und bauen Bürokratie ab.
Warum soll mit Ihnen klappen, was schon viele Politiker vor Ihnen nicht schafften?
Da muss man sich nur die Fakten ansehen: Das Meseberger Bürokratieabbaupaket ist das größte in der Geschichte der Bundesrepublik. Es bedeutet eine Entlastung von drei Milliarden Euro für die Wirtschaft jedes Jahr! Den Bürokratiekostenindex, der Belastungen durch Informationspflichten misst, die auf Bundesrecht beruhen, haben wir auf ein Allzeittief gedrückt. Bei aller Freude darüber muss aber auch klar sein, dass es damit erst losgeht. Bürokratieabbau darf keine einmalige Sache, sondern muss ein Dauerbrenner sein.
Nach den Berechnungen Ihres eigenen Hauses kommen wegen der neuen EU-Nachhaltigkeitsberichtspflichten jährliche Mehrkosten von rund 1,4 Milliarden Euro auf die Wirtschaft zu. Die Erleichterungen werden also schon wieder aufgezehrt.
Das stimmt und ist frustrierend. Wir sind dazu verpflichtet, das umzusetzen. Ich mache das so bürokratiearm wie möglich. Aber das unterstreicht erneut, dass wir auch nach Brüssel blicken müssen. Ich kann in Deutschland gar nicht so schnell Bürokratie abbauen, wie sie aus Brüssel immer wieder neu produziert wird. Wenn Europa nicht mitzieht, gelingt der Bürokratieabbau nicht. Wer auch immer das zu seinem Projekt macht, wird von mir unterstützt. Ich habe mit meinem Haus bereits Vorschläge für den EU-Bürokratieabbau geliefert. Wer die Kommission künftig anführen will, muss Bürokratieabbau zu seiner Priorität machen.
Die EU-Wahl hat gezeigt, dass die Wähler vieles satthaben. Reagieren nationale Regierungen und die Kommission darauf bereits?
Viele meiner europäischen Kollegen, gerade aus kleinen und mittelgroßen Staaten, berichten mir, dass sie gar nicht mehr wissen, wie sie die ganzen Verordnungen und Richtlinien umsetzen sollen. Einige Staaten haben nur wenige Millionen Einwohner und natürlich eine entsprechend kleinere Verwaltung. Um alle Beschlüsse umzusetzen, fehlt ihnen schlicht die Manpower. Deshalb treffen unsere Ideen bei vielen Staaten auf eine Grundsympathie. Etliche fangen an, ihre eigenen Konzepte gegen zu viel Bürokratie zu entwickeln. In Deutschland ist das Thema ja nun auch im Zentrum der Politik angekommen. In der vergangenen Woche hat die Ministerpräsidentenkonferenz einen Beschluss gefasst, der von Brüssel 25 Prozent weniger Lasten aus Berichtspflichten verlangt. Ich bin froh, dass wir das Thema so auf das Radar gebracht haben.
Aus Ihrem Ministerium kamen jüngst „Zehn Vorschläge für weniger Bürokratie in Europa“. Bis 2029 soll etwa für neue EU-Vorschriften ein striktes „One in, two out“-Prinzip eingeführt werden. Das hieße: Für jede neue Regelung sollen zwei bestehende gestrichen werden. Was von Ihren Ideen wird am Ende die Brüsseler Fliehkräfte überleben?
Wir haben jüngst mit Frankreich eine erste gemeinsame Vereinbarung für mehr Wettbewerbsfähigkeit geschlossen, die auch den Bürokratieabbau angeht. Schon davor habe ich bei vielen europäischen Kollegen um Unterstützung für den Bürokratieabbau geworben, und diese wächst von Monat zu Monat an. Wir wollen unsere Ziele erreichen und Entlastung schaffen – dieser Gedanke eint uns in den europäischen Staaten. Es würde mich freuen, wenn die neue Kommission hier mitzieht und sich das Thema schnell zu eigen machen würde. Wir können und müssen Veränderungen erreichen. Wie es ist, kann es nicht weitergehen.
Sie mahnen gern, dass 57 Prozent der bürokratischen Belastungen aus Brüssel kommen. Die aber wurden ja auch mal von Deutschland abgenickt.
Die Kommission ist die einzige Institution, die neue EU-Gesetze anstoßen kann. Es stammt also tatsächlich alles von ihr. Meiner Meinung nach fehlen bestimmte Mechanismen im europäischen Gesetzgebungsprozess. In Deutschland haben wir etwa den Nationalen Normenkontrollrat. An den kann sich das Parlament wenden, wenn es zum Beispiel einen Gesetzentwurf der Regierung überarbeitet. Und der kann dann ermitteln, wie groß der Erfüllungsaufwand eines Gesetzes ist. Auf EU-Ebene wissen die Entscheidungsträger dagegen oft gar nicht, wie schwer der Stein wiegt, den sie jemandem um den Hals hängen.
Lieferkettengesetz, Green Deal, ESG-Taxonomie, Gebäuderichtlinie, Verbrennerverbot… Warum hat sich Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas da nicht früher eingebracht?
Es gab in deutschen Regierungen immer wieder auch Akteure, die es gut fanden, dass Europa etwas vorschreiben konnte, was sich national nicht durchsetzen ließ. Das war schlicht Missbrauch der großartigen europäischen Idee. Im Nachhinein tat man so, als könne man nichts für die europäischen Vorschriften. Ich glaube, das ist aus der falschen Vorstellung heraus gewachsen, man könne der deutschen Wirtschaft beliebig viele Lasten auf die Schultern legen.
Nun soll aber sogar eine neue EU-Richtlinie gegen „Greenwashing“ kommen.
Auch ich bin dagegen, dass Unternehmen ihre Kunden belügen – generell, aber auch wenn es um ökologische Eigenschaften des Produktes geht. Wettbewerber und Verbraucherverbände können ein Unternehmen deswegen heute schon nach Wettbewerbsrecht verklagen. Ich finde, das funktioniert in Deutschland ziemlich gut. Jetzt will die Europäische Kommission alles verkomplizieren: Bevor Unternehmen Infos auf eine Verpackung drucken, müssten sie erst zu einem Gutachter gehen. Am Ende muss alles noch staatlich überwacht werden – und das in Zeiten von Fachkräftemangel und leeren Haushaltskassen. Schätzungen besagen, dass wir dafür allein in Deutschland mehrere Hundert zusätzliche Beamte bräuchten. Das passt wirklich nicht in die Zeit.
Ihre grüne Kabinettskollegin Steffi Lemke würde das Papier eher unterschreiben, oder?
Wir haben in der Tat eine Debatte in der Bundesregierung. Die von meinem Haus geäußerten erheblichen Bedenken haben dazu geführt, dass Deutschland der Richtlinie im Ministerrat nicht zugestimmt hat.
Noch vor einigen Monaten mahnten Sie selbst Wirtschaftsminister Habeck per Brief zu mehr Tempo beim Bürokratieabbau. Klappt die Zusammenarbeit nun besser?
Wir haben als Bundesregierung bisher mehr Bürokratie abgebaut als jede andere Bundesregierung zuvor. Ich finde, das ist schon mal ein erster Achtungserfolg. Wahr ist aber auch, dass es immer noch zu viel ist, und deshalb muss die Arbeit weitergehen. Das Wirtschaftsministerium hat etwa eine Reform des Vergaberechts angekündigt. Das halte ich für einen sehr wichtigen Schritt. Zudem schauen wir gemeinsam, wie man durch sogenannte Praxischecks Bürokratie noch gezielter und vor allem für die Unternehmen spürbar abbauen kann. Dabei wird anhand typischer Branchensituationen die Wirkung von Bürokratie untersucht und so identifiziert, von welchen Regelungen man sich gut trennen könnte. Der nächste Schritt könnte sein, dass wir etwa viele der Berichtspflichten, die wir in Deutschland haben, noch ehrgeiziger abbauen.
Auch sonst scheint sich eine Art Mehltau über die Republik gelegt zu haben. Was tun?
Erfolg setzt immer ein Mindestmaß an Risikobereitschaft voraus. Ich glaube, der deutsche Mehltau hat viel damit zu tun, dass wir uns in eine Null-Risiko-Mentalität verliebt haben. Wenn Steve Jobs nicht irgendwann sein Studium abgebrochen und in seiner Garage Computer gebaut hätte, gäbe es heute Apple nicht. Es gibt viele solcher Biografien. Nicht falsch verstehen: Ich möchte niemandem empfehlen, die Ausbildung abzubrechen. Aber ökonomischer Erfolg und Risikobereitschaft sind untrennbar miteinander verbunden. Wer die Bundesrepublik nach dem Motto „Zero Risk“ fahren möchte, muss eben auch mit „Zero Growth“ auskommen. Das führt aber zu schlimmen sozialpolitischen Folgen: mehr Verteilungskonflikte und weniger Aufstiegschancen durch eigene Leistung.
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