Bürokratieabbau ist Top-Priorität dieser Bundesregierung
Schwerpunktthema: Interview
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann spricht im Interview mit der Welt am Sonntag u.a. über den Bürokratieabbau und Migrationspolitik.
Interviews und Gastbeiträge
Welt am Sonntag
Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.
Welt am Sonntag: Herr Buschmann, was ist Ihnen wichtiger: Die Einhaltung der Schuldenbremse oder die Verteidigungsfähigkeit des Landes? Dafür sind mehr als die vorgesehenen 1,2 Milliarden Euro nötig, sagen alle Experten.
Viele wollen das in Widerspruch zueinander setzen – es ist aber keiner. Denn wir halten nun die Schuldenbremse ein und zugleich wird der Verteidigungsetat gesteigert. Zusätzlich gibt es eine Milliarde Euro für das Innenministerium zur Stärkung der inneren Sicherheit. Wir setzen richtige Prioritäten für das Land.
Reichen die 1,2 Milliarden Euro für die Verteidigung?
Sie unterschlagen, dass wir neben der Steigerung des regulären Wehretats weiterhin mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro weitere Stärkungen ermöglichen. Es ist wichtig, dass wir die Ukraine weiter unterstützen und selbst unsere Wehrfähigkeit steigern.
Die FDP hat auf Steuererleichterungen für ausländische Fachkräfte gepocht. Was haben Sie denjenigen zu sagen, die hier eine „Inländerdiskriminierung“ sehen?
Wir entlasten alle Menschen, die arbeiten um 23 Milliarden Euro. Wir gleichen die kalte Progression aus. Wir stellen Mehrarbeit, die über die tarifliche Arbeitszeit hinausgeht, steuer- und beitragsfrei. Und natürlich ist es in unserem volkswirtschaftlichen Interesse, dass die klügsten Köpfe der Welt hier Werte schaffen. Wir stehen da in weltweiter Konkurrenz. Ihnen werden zum Teil attraktive steuerliche Vergünstigungen in anderen Staaten geboten. Wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten wollen, brauchen wir vergleichbare Instrumente.
Sie sehen also keinen Verstoß gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitssatz?
Es kommt wie immer auf die konkrete Ausgestaltung an. Aber wenn eine solche Regelung gewollt ist, kann sie auch verfassungskonform ausgestaltet werden.
Sie haben nach der Haushaltseinigung vor allem die strengeren Regeln beim Bürgergeld gelobt. Warum gerade diesen Aspekt?
Ich komme aus einer Region, in der es Menschen für selbstverständlich halten, von eigener Hände Arbeit zu leben. Das gilt auch dann, wenn die Arbeit hart ist und der Lohn eher niedrig. Deshalb halte ich es für ein Gebot der Gerechtigkeit, dass alle, die arbeiten können, sich auch um Arbeit bemühen müssen. Das Sozialstaatsprinzip bedeutet, dass wir denen helfen, die arbeitsunfähig sind oder keine Arbeit finden. Aber es sagt nicht, dass wir bedingungslos diejenigen unterhalten, die keine Lust haben zu arbeiten.
Asylbewerber erhalten in Deutschland vergleichsweise hohe Sozialleistungen. Das liegt auch an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Schränkt das Gericht die Politik zu sehr ein?
Das Bundesverfassungsgericht hat in der Tat strenge Vorgaben beim Existenzminimum gemacht. Ich denke aber, dass es eine ganze Reihe von Anwendungsfällen gäbe, die mit der Rechtsprechung vereinbar wären.
Welche?
Es gilt das Dublin-System, wonach der EU-Staat für einen Flüchtling zuständig ist, in dem er EU hat betreten hat. Viele kommen aber trotzdem nach Deutschland. Ich meine, dass wir die Sozialleistungen bei diesen Fällen auf die Finanzierung der Rückkehrkosten beschränken könnten. Denn die Asylbewerber haben bereits im Ersteinreisestaat Anspruch auf Unterstützung. Sie können nicht erwarten, von der Solidarität der Menschen hierzulande zu leben, wenn sie nicht zurückreisen wollen. Das ist sicherlich umstritten, aber wir müssen an diese Pull-Faktoren weiter ran, die aktuell zu viele Menschen auf irregulärem Wege zu uns locken.
Mehrere Oppositionspolitiker sprechen sich für Zurückweisungen von Asylbewerbern an der Grenze aus. Ist das sinnvoll und rechtlich möglichen?
Zurückweisungen von Schutzsuchenden sind auf deutschem Boden nicht möglich. Da ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH eindeutig. Aber es gibt ja andere Möglichkeiten, etwa Grenzkontrollabkommen mit Nachbarstaaten. Das bedeutet, dass auf deren Boden mit deren Einverständnis schon Kontrollen stattfinden. Dort kann dann auch noch zurückgewiesen werden. Und genau das tun wir bereits seit längerem. Ich finde es erstaunlich, wenn mancher CDU-Politiker den Eindruck erwecken, wir täten zu wenig. Die Regierung Merkel hat stets betont, dass man die Grenzen nicht schützen könne. Wir machen das jetzt.
Die Koalition erwägt derzeit eine Aufarbeitung der Corona-Politik: Im Gespräch sind ein Bürgerrat und eine Enquete-Kommission. Was müssen beide Gremien aus Ihrer Sicht leisten?
Die Pandemie war ein einschneidendes Ereignis. Mit ihr gingen massive Grundrechtseingriffe einher. Wir haben damals dazu intensive Debatten geführt. Viele Eingriffe haben die Grenze des Vernünftigen und der Verfassung überschritten. Denken Sie daran, als zum Beispiel in Bayern das Lesen eines Buches allein auf einer Parkbank an der frischen Luft in Frage gestellt wurde. Die Gerichte haben daher so manche Entscheidung beanstandet. Aber ich befürworte auch eine politische Aufarbeitung im Parlament. Das wäre nach den schweren Grundrechtseingriffen angemessen – und wie ich finde notwendig. Denn die gemachten Fehler dürfen sich nicht wiederholen. Dazu braucht es die Einrichtung einer Enquetekommission, in der sich Abgeordnete mit angemessener Zeit tief in alle Unterlagen und die damaligen Abwägungen einarbeiten. Die Einrichtung eines Bürgerrates kann dazu eine ergänzende Maßnahme sein. Er kann aber die Aufarbeitung im Parlament nicht ersetzen.
Manche Rechtspolitiker Ihrer Koalition haben die Befürchtung, dass bei den ganzen Aufarbeitungsgremien die harte gesetzliche Arbeit zu kurz komme. Sie kritisieren, dass die rechtlichen Grundlagen für eine Pandemiepolitik nie grundlegend überarbeitet wurden, obwohl sich die Ampel das eigentlich vornahm. Warum passiert nichts?
Wir haben bereits eine ganze Reihe von Änderungen vorgenommen. Ich war noch nicht im Amt, da habe ich mit dafür gesorgt, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite ausgesetzt wurde. Das war ja zuvor die Voraussetzung für den Erlass von vielen Schutzmaßnahmen durch die Bundesländer, die auch zu erheblichen Grundrechtseingriffen führen konnten. Wir haben die Pandemiebewältigung damals zurück in das Parlament geholt und dort das Infektionsschutzgesetz mehrfach geändert - immer mit dem Ziel, die rechtlichen Voraussetzungen für Maßnahmen präziser und auch strenger zu fassen. Das führte sogar dazu, dass bei dem letzten Herbst-Winter-Paket neben den wenigen bundesweit geltenden Schutzmaßnahmen keine einzige zusätzliche Maßnahme von den Bundesländern erlassen wurde, weil die rechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren. Das zeigt, dass wir sehr viel strengere Maßstäbe vorgegeben haben als die Vorgängerregierung. Wir haben den Grundrechtsschutz deutlich nach vorne gerückt.
Die epidemische Lage steht immer noch im Gesetz. Wenn es zu einer neuen Pandemie käme, stünde fast der gesamte Maßnahmenkatalog wieder zur Verfügung.
Das stimmt so nicht, weil die Feststellung dieser Lage nicht von der Bundesregierung getroffen wird. Es bräuchte einen Mehrheitsbeschluss des Deutschen Bundestags. Nichts kann automatisch aktiviert werden. Wir haben die Rolle des Parlaments bewusst gestärkt.
Schon vor Monaten haben Sie sich dafür ausgesprochen, das Bundesverfassungsgericht stärker zu schützen. Da dafür das Grundgesetz geändert werden muss, brauchen Sie die Unterstützung der Union. Halten Sie eine Einigung für möglich?
Die Gespräche verlaufen ausgesprochen konstruktiv und vertrauensvoll. Und mein Gefühl ist, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen. Mein Ziel ist, dass wir ein Paket verhandeln, das erstens die großen Leistungen des Bundesverfassungsgerichts für unsere liberale Demokratie in den letzten knapp 75 Jahren anerkennt und es zweitens bei potenziellen Gefahren besser absichert. Da wir vertraulich diskutieren, möchte ich keine Wasserstandsmeldungen abgeben.
Wir stehen kurz vor der Sommerpause. Welche Vorhaben sind Ihnen nach Ihrer Rückkehr nach Berlin besonders wichtig?
Das Justizministerium wird auch im Sommer keine Pause einlegen. Wir haben viel Arbeit vor uns. Die in der Regierung verabredete Wirtschaftsinitiative, die wir zusätzlich zum Haushalt beschlossen haben, gibt uns neuen Rückenwind für wichtige Projekte, insbesondere im Bereich des Bürokratieabbaus. Bürokratieabbau ist jetzt keine heiße Kartoffel mehr. Ich habe da seit über einem Jahr hart daran gearbeitet, nun ist der Abbau unnötiger Vorschriften eine Top-Priorität dieser Bundesregierung. Wir wollen jetzt die vereinbarten Punkte schnell mit Leben füllen. Wir haben ja vereinbart, dass wir als Bundesregierung einen verbindlichen Abbaupfad für Bürokratie festlegen. Da werden alle Bundesministerien dann mitarbeiten müssen. Wir wollen noch vor der Bundestagswahl ein erstes Jahresbürokratieabbaugesetz vorlegen. Das soll dann jährlich folgen und die Belastungen abbauen. Wir haben also weiter viel zu tun.
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