Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.
RP: Frau Ministerin, Sie kennen das Justizministerium bereits gut. Wollten Sie insgeheim immer auf den Ministerinnensessel?
Dr. Stefanie Hubig: Nein. Das kann man nicht planen. Umso größer ist meine Freude über mein neues Amt. Ich war sehr gerne Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz. Zugleich bin ich im tiefsten Innern meines Herzens immer Juristin geblieben. Deswegen fühlt es sich jetzt auch ein bisschen an wie nach Hause zu kommen.
Nun sind Sie Justizministerin. Da liegt die Frage nahe, ob Sie selber schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Sind Sie?
Eins ist klar: In unserem Rechtstaat muss sich niemand selbst belasten. Aber ernsthaft: Ich bin eigentlich jemand, der gerne Regeln und Normen einhält. Ja, ich bin mal mit Tempo 40 in einer 30er-Zone geblitzt worden, davon gibt es jede Menge in Mainz. Und als Kind bin ich mal vom Bauern beim Kirschenklauen erwischt worden. Vielleicht hat die gefühlte Schmach damals nachhaltig gewirkt bei mir.
Dann mal zu den harten Themen. Viele Menschen treibt die zunehmende Zahl an Messerangriffen um. Innenminister Alexander Dobrindt hat Strafrechtsverschärfungen vorgeschlagen. Gehen Sie da mit?
Die Messerangriffe treiben auch mich um. Jede Tat ist eine zu viel und es ist offensichtlich: Das Sicherheitsgefühl der Menschen leidet darunter erheblich. Die Zahl der Taten muss wieder sinken. Deshalb gibt es inzwischen zum Beispiel auf öffentlichen Veranstaltungen und im Personenfernverkehr ein absolutes Messerverbot.
Aber Messerverbotszonen wirken ja offenkundig nur begrenzt.
Messerverbotszonen ermöglichen verdachtsunabhängige Kontrollen. Das ist für die Polizei durchaus sinnvoll. Aber natürlich können Verbotszonen nicht die einzige Antwort sein. Wovon ich allerdings wenig ich halte, ist gleich nach Strafverschärfungen zu rufen. Schon jetzt können Messerangriffe streng bestraft werden. Eine Anhebung der Mindeststrafe auf ein Jahr, wie sie manche fordern, kann in besonderen Fällen zu ungerechten Ergebnissen führen. Das belastet die Justiz und hilft am Ende nicht weiter. Für eine effektive Abschreckung kommt es vor allem auch darauf an, dass Täter schnell einen Prozess bekommen. Dafür brauchen wir eine starke, gut ausgestattete Justiz.
Der Eindruck ist aber häufig, dass mutmaßliche Täter gerade bei Messerdelikten schnell wieder auf freien Fuß kommen. Muss die Justiz nicht doch härter vorgehen?
Angriffe mit Messern müssen schuldangemessen bestraft werden. Und nein, ich habe nicht den Eindruck, dass die deutsche Justiz Straftäter mit Samthandschuhen behandelt.
Zuletzt waren es Kinder im Grundschulalter, die zum Messer gegriffen haben. Was halten Sie von der Debatte, die Strafmündigkeit herabzusetzen?
Ich bin da sehr, sehr zurückhaltend. Natürlich verstehen Schulkinder, dass man niemanden mit einem Messer angreifen darf. Aber Strafmündigkeit setzt mehr voraus. Wir reden über Zehn- bis 13-jährige. Ich halte es auch für abwegig zu glauben, dass man so junge Kinder mit Sozialstunden oder gar Haftstrafen zur Einsicht bringt. Es gibt viele Möglichkeiten, Fehlverhalten von Kindern zu korrigieren und ihnen auf andere Weise zu zeigen, wo die Grenzen und was die Alternativen sind. Da sind Kitas, Schulen, die Jugendhilfe und auch Eltern gefordert. Hier braucht es ein gutes, gemeinsames und entschlossenes Zusammenwirken und eine funktionierende Vernetzung der verschiedenen Stellen. Daran wird gearbeitet, das weiß ich als ehemalige Bildungsministerin.
Also lehnen Sie rechtliche Verschärfungen in Zusammenhang mit den Messerangriffen vollständig ab?
Ich verschließe mich keiner ernsthaft geführten Debatte. Aber ich halte nichts von lautstarken oder undurchdachten Forderungen nach schärferen Strafen. Wichtiger sind schnelle Verfahren, klare Ansagen und Prävention – gerade wenn es um Kinder und Jugendliche geht.
Haben Sie schon mit Ihrem Kollegen Dobrindt darüber gesprochen? Er will mehr auf Härte setzen.
Für das Strafrecht ist das Justizministerium zuständig, nicht das Innenministerium. Aber natürlich stehen wir beide schon jetzt in einem offenen und konstruktiven Austausch. Justiz- und Innenministerium verstehen wir als Partner, nicht als Gegner. Wir haben uns fest vorgenommen, dass wir Konflikte nicht öffentlich austragen.
Sie wollen Frauen stärker vor Gewalt von Partnern oder Ex-Partnern schützen. Wie soll das konkret aussehen?
Es geht in der übergroßen Anzahl von Fällen um Frauen als Opfer. Aber natürlich sind auch Männer von häuslicher Gewalt betroffen. Das Ausmaß häuslicher Gewalt in Deutschland ist erschreckend. Wir wollen mit einem Maßnahmenpaket gegensteuern. Insbesondere werden wir Familiengerichte ermächtigen, elektronische Fußfesseln anzuordnen, um Betroffene vor häuslicher Gewalt zu schützen. Wir planen eine Regelung nach dem spanischen Modell. Dabei tragen Täter und Opfer beide ein GPS-Gerät. Kommt der Täter seinem Opfer zu nahe, wird ein Alarm ausgelöst: sowohl beim Opfer als auch bei der überwachenden Stelle. Die Polizei kann also beide in den Blick nehmen. Noch dieses Jahr werden wir einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg bringen.
Aber reicht das angesichts der extrem hohen Zahl an Femiziden?
Die elektronische Fußfessel ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen häusliche Gewalt. Und wir planen noch mehr: Anti-Gewalt-Trainings sollen verpflichtend angeordnet werden können. Auch das elterliche Sorge- und Umgangsrecht werden wir anpassen. Zum Beispiel müssen Familiengerichte häusliche Gewalt zwingend berücksichtigen, wenn sie Entscheidungen über das elterliche Sorge- und Umgangsrecht treffen. Es kann nicht sein, dass ein gewalttätiger Ex-Partner das Sorgerecht oder ein Umgangsrecht zugesprochen bekommt, so als ob nichts geschehen sei. Es wird am Ende viele verschiedene Maßnahmen brauchen, um hier voran zu kommen. Um die kümmern wir uns.
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Sie sind auch Verbraucherschutzministerin, was haben Sie da vor?
Ganz aktuell beschäftigt mich die Frage der Entschädigungen bei Flugverspätungen. Das ist europäisch geregelt. Manche wittern da eine Chance, Verbraucherrechte drastisch zurückzuschneiden. Die jetzige Regelung besagt, dass es bei Verspätungen ab drei Stunden Zahlungen von 250 bis 600 Euro gibt, abhängig von der Streckenlänge. Nach einem aktuellen Vorschlag auf EU-Ebene soll es erst ab vier Stunden Verspätung eine Zahlung von 300 Euro geben, für Langstrecken sogar erst ab sechs Stunden und zwar in Höhe von 500 Euro. Ich halte den Plan für falsch. Viele Verbraucher würden dann leer ausgehen.
Was schlagen Sie vor?
Ich verstehe die Interessen der Fluggesellschaften. Zugleich will ich als Ministerin die Verbraucherrechte stärken. Der Verkehrsminister und ich schlagen daher folgendes vor: Die drei Stunden bleiben, aber die Entschädigung wird bei allen Verspätungen auf 300 Euro festgelegt. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf dieser Grundlage in Brüssel eine ausgewogene Lösung erreichen können.
Bei der Bahn orientiert sich die Erstattung am Ticketpreis. Wäre das auch ein Modell für Flugreisen?
Solch ein Modell könnte man sich auch vorstellen. Aber es hätte Konsequenzen, die nicht jedem gefallen dürften: Passagiere aus der Business Class oder First Class würden dann sehr viel mehr Entschädigung erhalten als Passagiere in der Economy.
Im Koalitionsvertrag wurde auch eine Bestätigungslösung bei telefonisch eingegangenen Verträgen vereinbart. Wann kommt die?
Wir werden das zügig angehen. Wir wollen mit der Bestätigungslösung vor allem ältere Verbraucherinnen und Verbraucher besser vor unbemerkten Vertragsabschlüssen schützen. Das ist gerade bei längeren Abo-Verträgen ein Problem. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen an solche Verträge nur gebunden sein, wenn sie diese nochmal schriftlich bestätigt haben.