Vorschläge zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts
Schwerpunktthema: Gesetzgebung
Das Bundesministerium der Justiz hat heute einen Referentenentwurf zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts veröffentlicht.
Pressemitteilung Nr. 45/2023
Hierzu erklärt Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann:
„Das zentrale Versprechen des Völkerstrafrechts ist von dramatischer Aktualität: Völkerrechtsverbrechen dürfen nicht ungesühnt bleiben! Deutschland hat eine besondere Verantwortung, dieses große Versprechen des Völkerrechts mit Leben zu füllen: aufgrund unserer Geschichte und aufgrund der Stärke unseres Rechtsstaats. Ich setze mich daher für eine Fortentwicklung des deutschen Völkerstrafrechts ein. Mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf werden wir im deutschen Recht Strafbarkeitslücken schließen und Opferrechte von Betroffenen von Völkerstraftaten stärken."
Das Bundesministerium der Justiz hat im Februar Eckpunkte zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts veröffentlicht. Aus diesen Eckpunkten wurde nun ein Referentenentwurf entwickelt. Die Vorschläge zielen darauf, Strafbarkeitslücken zu schließen, Opferrechte zu stärken und die Breitenwirkung völkerstrafrechtlicher Prozesse und Urteile zu verbessern. Im Einzelnen:
I. Stärkung der Opferrechte: Nebenklagebefugnis u.a.
Die Rechte von Opfern von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) sollen gestärkt werden. Konkret geht es um Menschen, die Opfer von Straftaten nach den §§ 6 bis 8 und 10 bis 12 VStGB geworden sind und in ihren Rechten auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit, religiöse, sexuelle oder reproduktive Selbstbestimmung oder ungestörte körperliche und seelische Entwicklung in der Kindheit verletzt worden sind. Opfern dieser Straftaten und den Angehörigen der durch diese Straftaten Getöteten soll die Nebenklagebefugnis eingeräumt werden: Sie sollen sich den in Deutschland wegen solcher Straftaten geführten Verfahren als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger anschließen können. Hierzu soll § 395 der Strafprozessordnung (StPO) geändert werden.
Parallel dazu sollen die Regeln über die anwaltliche Vertretung von Nebenklägerinnen und Nebenklägern angepasst werden. Wenn Opfer von VStGB-Straftaten als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, ohne weitere Voraussetzungen einen Opferanwalt oder eine Opferanwältin beigeordnet zu bekommen. Insbesondere soll es dafür nicht auf die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe ankommen. Hierzu soll § 397a Absatz 1 StPO geändert werden.
Auch die Regeln für die Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung sollen angepasst werden (§ 406g StPO): Wenn Opfer von Völkerstraftaten als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, auf Antrag ohne weitere Voraussetzung einen psychosozialen Prozessbegleiter oder eine psychosoziale Prozessbegleiterin beigeordnet zu bekommen.
Um dem berechtigten Interesse der Praxis an der effektiven Durchführung von Hauptverhandlungen mit zahlreichen Nebenklägern und Nebenklägerinnen Rechnung zu tragen, soll § 397b Absatz 1 StPO, der eine gemeinschaftliche Nebenklagevertretung bei gleichgelagerten Interessen ermöglicht, um ein weiteres Regelbeispiel ergänzt werden, das diese Interessen in Verfahren nach dem VStGB konkretisiert. Zudem wird in einem neuen § 397b Absatz 4 StPO geregelt, dass in den Fällen, in denen nur auf Grund von VStGB-Tatbeständen ein gemeinschaftlicher Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin als Beistand mehrerer Nebenkläger bestellt wurde, die Ausübung der in § 397 Absatz 1 Satz 3 und 4 StPO genannten Beteiligungsrechte der Nebenklägerinnen und Nebenkläger wie etwa deren Fragerecht oder Beweisantragsrecht auf deren Nebenklagevertreterinnen oder -vertreter übertragen wird.
II. Erleichterung der Rezeption von Prozessen nach dem VStGB
Rezeption und Verbreitung wichtiger deutscher Völkerstrafrechtsprozesse sollen gefördert werden. Hierzu soll in § 185 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) klargestellt werden, dass Medienvertreter in Gerichtsverfahren Verdolmetschungen nutzen können, wenn sie der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Das Bundesministerium der Justiz wird darüber hinaus Übersetzungen wegweisender Urteile zum Völkerstrafrecht in die englische Sprache in Auftrag geben, damit weltweit auch die nicht-deutschsprachige Öffentlichkeit Zugang hierzu bekommt.
Schließlich soll die wissenschaftliche und historische Rezeption von völkerstrafrechtlichen Verfahren erleichtert werden. Hierzu soll in § 169 Absatz 2 Satz 1 GVG auch die Möglichkeit von Filmaufnahmen zugelassen werden, sofern es sich um ein völkerstrafrechtliches Verfahren von entsprechender Bedeutung handelt. Zudem soll geregelt werden, dass die – künftig ohnehin für viele strafgerichtliche Hauptverhandlungen obligatorische – Aufzeichnung auch für wissenschaftliche und historische Zwecke verwendet werden kann. Bewirkt werden soll dies durch eine Anpassung des § 169 Absatz 2 GVG sowie aufgrund der Neufassung von § 273 StPO im Entwurf des Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung.
III. Schließung von Strafbarkeitslücken im VStGB – insbesondere im Hinblick auf sexualisierte Gewalt
Strafbarkeitslücken im VStGB sollen geschlossen und die dortigen Straftatbestände fortentwickelt werden.
§ 7 VStGB (Verbrechen gegen die Menschlichkeit) und § 8 VStGB (Kriegsverbrechen gegen Personen) sollen so angepasst werden, dass sie auch den Tatbestand der sexuellen Sklaverei, des sexuellen Übergriffs sowie den erzwungenen Schwangerschaftsabbruch umfassen. Damit soll dem erheblichen Unrechtsgehalt der damit bezeichneten Handlung und der zunehmenden Bedeutung dieser Tatbestände in der Rechtsprechung des IStGH Rechnung getragen werden. Diese Änderungen dienen der Schließung von Strafbarkeitslücken und sorgen für einen Gleichlauf mit den entsprechenden Normen des Römischen Statuts des IStGH.
Neu aufgenommen werden sollen in das VStGB außerdem die Tatbestände der Verwendung von Waffen, deren Splitter mit Röntgenstrahlen nicht erkennbar sind, sowie der Verwendung von dauerhaft blindmachenden Laserwaffen. Diese Tatbestände wurden jüngst in das Statut des IStGH aufgenommen; durch Übernahme in das nationale Recht soll zur Bildung entsprechenden Völkergewohnheitsrechts beigetragen werden. Schließlich soll im Tatbestand des Verschwindenlassens als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) das Nachfrageerfordernis gestrichen werden.
Der Entwurf wurde heute an Länder und Verbände verschickt und auf unserer Homepage veröffentlicht. Die interessierten Kreise haben nun Gelegenheit, bis zum 25. August 2023 Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen werden auf der Internetseite des BMJ veröffentlicht werden.
Den Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts finden Sie hier.
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