Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärt dazu:
„Das Völkerstrafrecht hat seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dramatische Aktualität erlangt. Jetzt gilt es umso mehr, das internationale und deutsche Völkerstrafrecht mit Leben zu füllen. Gleichzeitig setze ich mich für die Fortentwicklung des deutschen Völkerstrafrechts ein. Mit dem beschlossenen Gesetzentwurf werden wir Opferrechte von Betroffenen von Völkerstraftaten stärken, die Rezeption deutscher Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch erleichtern und im deutschen Recht Strafbarkeitslücken schließen.“
Das Gesetz zielt darauf, Strafbarkeitslücken zu schließen, Opferrechte zu stärken und die Breitenwirkung völkerstrafrechtlicher Prozesse und Urteile zu verbessern.
Im Einzelnen:
I. Stärkung der Opferrechte
Die Rechte von Opfern von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) sollen gestärkt werden. Konkret geht es um Menschen, die Opfer von Straftaten nach den §§ 6 bis 8 und 10 bis 12 VStGB geworden sind und in ihren Rechten auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit, religiöse, sexuelle oder reproduktive Selbstbestimmung oder ungestörte körperliche und seelische Entwicklung in der Kindheit verletzt worden sind. Opfern dieser Straftaten und den Angehörigen der durch diese Straftaten Getöteten soll die Nebenklagebefugnis eingeräumt werden: Sie sollen sich den in Deutschland wegen solcher Straftaten geführten Verfahren als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger anschließen können. Hierzu soll § 395 der Strafprozessordnung (StPO) geändert werden.
Parallel dazu sollen die Regeln über die anwaltliche Vertretung von Nebenklägerinnen und Nebenklägern angepasst werden. Wenn Opfer von VStGB-Straftaten als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, ohne weitere Voraussetzungen einen Opferanwalt oder eine Opferanwältin beigeordnet zu bekommen. Insbesondere soll es dafür nicht auf die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe ankommen. Hierzu soll § 397a Absatz 1 StPO geändert werden.
Auch die Regeln für die Beiordnung einer psychosozialen Prozessbegleitung sollen angepasst werden (§ 406g StPO): Wenn Opfer von Völkerstraftaten als Nebenklägerinnen oder Nebenkläger zugelassen wurden, sollen sie künftig berechtigt sein, auf Antrag ohne weitere Voraussetzung einen psychosozialen Prozessbegleiter oder eine psychosoziale Prozessbegleiterin beigeordnet zu bekommen.
Um dem berechtigten Interesse der Praxis an der effektiven Durchführung von Hauptverhandlungen mit zahlreichen Nebenklägern und Nebenklägerinnen Rechnung zu tragen, soll § 397b Absatz 1 StPO, der eine gemeinschaftliche Nebenklagevertretung bei gleichgelagerten Interessen ermöglicht, um ein weiteres Regelbeispiel ergänzt werden, das diese Interessen in Verfahren nach dem VStGB konkretisiert. Zudem wird in einem neuen § 397b Absatz 4 StPO geregelt, dass in den Fällen, in denen nur auf Grund von VStGB-Tatbeständen eine gemeinschaftliche Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt oder als Beistand mehrerer Nebenklägerinnen oder Nebenkläger bestellt wurde, die Ausübung der in § 397 Absatz 1 Satz 3 und 4 StPO genannten Beteiligungsrechte der Nebenklägerinnen und Nebenkläger wie etwa deren Fragerecht oder Beweisantragsrecht auf deren Nebenklagevertreterinnen oder -vertreter übertragen wird.
II. Erleichterung der Rezeption von Prozessen nach dem VStGB
Rezeption und Verbreitung wichtiger deutscher Völkerstrafrechtsprozesse sollen gefördert werden. Hierzu soll in § 185 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) klargestellt werden, dass Medienvertreterinnen oder Medienvertreter in Gerichtsverfahren Verdolmetschungen nutzen können, wenn sie der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Das Bundesministerium der Justiz wird darüber hinaus Übersetzungen wegweisender Urteile zum Völkerstrafrecht in die englische Sprache in Auftrag geben, damit weltweit auch die nicht-deutschsprachige Öffentlichkeit Zugang hierzu bekommt.
Schließlich soll die wissenschaftliche und historische Rezeption von völkerstrafrechtlichen Verfahren erleichtert werden. Hierzu soll in § 169 Absatz 2 Satz 1 GVG auch die Möglichkeit von Filmaufnahmen zugelassen werden, sofern es sich um ein völkerstrafrechtliches Verfahren von entsprechender Bedeutung handelt. Zudem soll geregelt werden, dass die – künftig ohnehin für viele strafgerichtliche Hauptverhandlungen obligatorische – Aufzeichnung auch für wissenschaftliche und historische Zwecke verwendet werden kann. Bewirkt werden soll dies durch eine Anpassung des § 169 Absatz 2 GVG sowie aufgrund der Neufassung von § 273a StPO im Entwurf des Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung.
III. Änderungen im VStGB und im Strafgesetzbuch – insbesondere im Hinblick auf sexualisierte Gewalt und das Verschwindenlassen von Personen
Strafbarkeitslücken im VStGB sollen geschlossen und die dortigen Straftatbestände fortentwickelt werden. § 7 VStGB (Verbrechen gegen die Menschlichkeit) und § 8 VStGB (Kriegsverbrechen gegen Personen) sollen so angepasst werden, dass sie auch die Tatbestandsalternativen der sexuellen Sklaverei, des sexuellen Übergriffs sowie des erzwungenen Schwangerschaftsabbruchs umfassen. Die Tatbestandsalternative des Gefangenhaltens eines unter Anwendung von Zwang geschwängerten Menschen soll um eine weitere Absichtsalternative ergänzt werden. Mit den Änderungen soll dem erheblichen Unrechtsgehalt der damit bezeichneten Handlungen und der zunehmenden Bedeutung dieser Tatbestandsalternativen in der Rechtsprechung des IStGH Rechnung getragen werden. Diese Änderungen dienen der Schließung von Strafbarkeitslücken und sorgen für einen Gleichlauf mit den entsprechenden Normen des Römischen Statuts des IStGH.
Im Tatbestand der Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) wird als unzulässiger Grund der Verfolgung die sexuelle Orientierung ergänzt.
Neu aufgenommen werden sollen in das VStGB außerdem die Tatbestände der Verwendung von Waffen, deren Splitter mit Röntgenstrahlen nicht erkennbar sind, sowie der Verwendung von dauerhaft blindmachenden Laserwaffen. Diese Tatbestände wurden in das Statut des IStGH aufgenommen; durch Übernahme in das nationale Recht soll zur Bildung entsprechenden Völkergewohnheitsrechts beigetragen werden.
Schließlich wird im Tatbestand des Verschwindenlassens als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) das Nachfrageerfordernis gestrichen werden. Zudem soll künftig auch das Strafgesetzbuch in § 234b einen eigenen Straftatbestand des Verschwindenlassens von Personen enthalten.
Der heute vom Bundeskabinett beschlossene Regierungsentwurf wird nun dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet und nach einer Gegenäußerung der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag weitergeleitet und dort beraten.
Den Regierungsentwurf finden Sie hier.