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„Zur politischen Lage nach dem 24. Februar“

Rede des Bundesjustizministers Dr. Marco Buschmann beim „Welt“-Wirtschaftsgipfel am 15. März 2022 in Berlin

Rede
Dr. Marco Buschmann

Vielen Dank, lieber Mathias Döpfner, lieber Ulf Poschardt,
sehr geehrte Damen und Herren!

Ich will heute, unsere Diskussion einleitend, über das reden, was uns alle bewegt.
Über den völkerrechtswidrigen Überfall Putins auf die Ukraine.

I. Einleitung: Die vier Reiter der Apokalypse

Man kann die politische Bedeutung dieses 24. Februar 2022 gar nicht überschätzen.
Er ist vor allem eine dramatische Katastrophe für die Menschen in der Ukraine, die Zerstörung, Gewalt und Tod erleiden.
Es ist aber auch ein historischer Wendepunkt für Deutschland und Europa – oder wie der Bundeskanzler es formulierte: eine Zeitenwende.

Diesen historischen Wendepunkt muss jeder erkennen.
Denn erstmals seit vielen Jahrzehnten,
und ich hoffe, dass sie mir diesen Ausflug in die Heilige Schrift erlauben,
galoppieren auf dem europäischen Kontinent wieder alle vier Reiter der Apokalypse, so wie wir sie aus der Offenbarung des Johannes kennen.

Mit dem vierten Reiter auf dem fahlen Pferd schlagen wir uns ja nun schon seit zwei Jahren herum.
Denn er steht für Krankheit und Seuchen.
Und in der Tat hat die Pandemie Politik und Alltag lange im Griff gehabt.
Und niemand kann mit absoluter Gewissheit sagen, ob sie das nicht auch in Zukunft wieder tun kann.

Der dritte Reiter auf dem schwarzen Pferd trägt eine Waage.
Sie steht für Teuerung, Inflation, Mangel, Armut und Hunger.
Und machen wir uns nichts vor:
Schon vor dem Überfall auf die Ukraine
mussten wir uns Gedanken machen,
wie wir unseren Wohlstand bewahren.

Aber nun führen die Zustände an den Energiemärkten zu massiven Teuerungen und Wohlstandsverlusten.
Die weltweit einsetzende Knappheit an Weizen und bestimmten anderen Lebensmitteln führt bei uns zu steigenden Preisen.
Sie macht uns ärmer.
In der Sahel-Zone und anderen Teilen des afrikanischen Kontinents führen sie im schlimmsten Fall zu Hungerkatastrophen und tausendfachem Tod.

Der zweite Reiter sitzt auf einem roten Pferd. Es steht für Blutvergießen, für Krieg, Gewalt und Tod – also genau das, was gerade direkt an der Außengrenze der Europäischen Union auf dem Boden der Ukraine stattfindet.

Schließlich gibt es den ersten Reiter auf dem weißen Pferd.
An seiner Bedeutung scheiden sich seit Jahrhunderten die Geister.
Die einen halten ihn für ein Zeichen der Unterdrückung und Verfolgung durch Tyrannen.
Schon Martin Luther war dieser Ansicht.
Das könnte auch passen. Denn spätestens jetzt muss jeder erkennen,
dass im Kreml kein „lupenreiner Demokrat“ regiert,
sondern ein Gewaltherrscher mit Großmachtphantasien,
dessen unbarmherzigen Stiefel
das Volk der Ukraine gerade in seinem Nacken spürt.

Mit Luther hat man also einen Punkt. Als guter Katholik weise ich aber auf die Meinung der alten Kirchenväter hin:
Sie erkannten im weißen Reiter ein Symbol der Führung, der frohen Botschaft des Evangeliums und einige meinten sogar, es handele sich um Christus selbst.

Vor diesem Hintergrund möchte ich sagen:
Nichts relativiert das Leid und das Unrecht, das Putin verursacht:
Aber wo gerade die Kräfte der Dunkelheit wirken,
können wir doch sehen, wie stark die Mächte des Lichts die Menschen inspirieren, sich gegen diese Dunkelheit zu wehren.

Wir sehen, wie Präsident Selenskij Leadership in einer Weise zeigt, wie es sich kaum jemand hätte vorstellen können.
Wir sehen die Menschen in der Ukraine, wie sie tapfer ihre Heimat gegen eine der größten Armeen der Welt verteidigen.
Wir sehen, wie unsere direkten Nachbarn in Polen,
mit denen wir manch schwere Diskussion geführt haben,
in der Stunde der Not selbstlos ihren Nachbarn in der Ukraine Hilfe leisten.
Wir sehen, dass die Länder, die wir den Westen nennen und denen man nachsagte, dass sie selbstsüchtig, zerstritten und handlungsunfähig seien, in kürzester Zeit die Lage erkannt und gehandelt haben und geschlossen sind wie schon lange nicht mehr.

Und wir sehen – so hoffe ich zumindest – wie diejenigen, die meinten, in den Autokratien des Ostens ein den liberalen Demokratien des Westens überlegenes System zu erkennen, schamhaft zu Boden blicken.
Denn wieder beweist sich eine alte Lektion der Geschichte:
Wo zu viel Macht in einer Hand konzentriert ist, da drohen erst Korruption und dann der Krieg.

Wenn wir im weißen Reiter ein Symbol dafür erkennen, dass wir dem Bösen nicht schicksalhaft ausgeliefert sind, heißt das, dass wir etwas tun können und dass wir etwas tun müssen. Daran mitzuwirken ist die Mission unserer Zeit.

Für die Politik heißt das vor allem, dass neue Prioritäten gefragt sind –
und die Bundesregierung und die sie tragende Koalition hat zügig die entsprechenden Konsequenzen gezogen.
Einige davon, die aus meiner Sicht besonders wichtig sind, möchte ich Ihnen kurz vorstellen:

II. Umdenken / Wehrhaftigkeit

Erstens: Wir haben, das muss man rückblickend wohl selbstkritisch sagen, als Gesellschaft zuletzt nicht mehr wirklich sehen wollen,
dass es diesen Geist und diesen Willen von Macht, Gewalt und Panzern neben uns und gegen uns immer noch gibt;
dass da ein Wille ist, uns als Demokratien zu besiegen, die Freiheit zu beseitigen, die uns so alternativlos scheint.

Wir müssen jetzt mit uns selbst noch ehrlicher klären, was es heißen kann und was es heißen soll, dass wir unsere Freiheit verteidigen.
Wir haben damit begonnen.
Wir ertüchtigen die Bundeswehr für eine der Kernfunktionen des Staates, für die Gewährleistung von äußerer Sicherheit.

Wir haben diese Aufgabe als Gesellschaft vernachlässigt.
Jetzt müssen wir sie nachholen.
Nicht nur finanziell, auch durch neuen gesellschaftlichen Respekt für die Bundeswehr und für den Dienst der Soldaten.

Die liberale Demokratie muss wehrhaft sein – nach innen, das haben wir in den letzten Jahren gelernt, aber eben auch nach außen.

III. Eigene Verwundbarkeit überwinden

Zweitens: Wir wehren uns gegen diesen Krieg auch mit den Mitteln einer wirtschaftlichen Stärke, die auf einer liberalen Rechts- und Marktordnung ruht.
Aber diese wirtschaftliche Grundlage, das merken wir gerade, ist nicht selbstverständlich. Sie ist aber nötig, damit wir selbst diese Art des Widerstands durchhalten können.

Gerade in der Energiepolitik haben wir uns als Bundesregierung im November Ziele gesetzt, die wir jetzt noch dringlicher erreichen müssen.
Der Abbau der Abhängigkeit von Russland steht nun ganz oben auf der Tagesordnung.
Christian Lindner hat von den Erneuerbaren Energien als Freiheitsenergien gesprochen.
Und die richtige und realistische Maxime: Versorgungssicherheit vor Klimaschutz –
die hat wiederum Robert Habeck ausgesprochen, der Kohlekraftwerke in Reserve halten will. Die Regierung tut, was geboten ist.

Wir reden nun auch wieder über Knappheiten.
Wir erleben vielleicht das Ende des postmateriellen Traums,
der sich solche Knappheiten manchmal jedenfalls für Europa scheinbar weggehofft hatte.
Wir wissen nun: Ideale benötigen eine materielle Grundlage.
Die kann immer wieder knapp sein und werden; die Knappheiten müssen wir überwinden durch Wachstum, durch ökonomische Kompetenz und ökonomische Leistungsfähigkeit.

Wir erleben möglicherweise auch eine neue Wertschätzung der Globalisierung – durch den bedrohlichen Rückfall in ihr Gegenteil.
Denn dies sind ja Wochen einer disruptiven Deglobalisierung, die Krieg und Sanktionen mit sich bringen.
Der Segen der Globalisierung zeigt sich an den schlimmen Folgen, wenn sie rückabgewickelt wird.
Globalisierung mag Schattenseiten haben.
Deglobalisierung ist aber definitiv ein düsteres Ereignis.

IV. Ukraine beistehen

Drittens stehen wir der Ukraine bei – so gut und so weit es geht.

Auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land helfen in diesen Wochen in beeindruckender Weise,
bei der Aufnahme der Flüchtlinge, mit Spenden.

Die beschlossenen Sanktionen gegen Russland sind beispiellos, tiefgreifend und umfassend.
Und sie zeigen ja Wirkung.
Die Zahlungsunfähigkeit Russlands droht.
Der innere Widerstand in Russland wächst, Unterstützung schwindet,
Tausende demonstrieren und riskieren Schlimmstes für sich,
Künstler und Wissenschaftler zu Tausenden, orthodoxe Priester, auch Staatsbedienstete, auch Oligarchen wenden sich gegen Putin.
Auch militärisch offenbaren sich Schwächen.
Die Waffenlieferungen des Westens tragen dazu bei – Waffenlieferungen, die völkerrechtlich rechtens und moralisch gerechtfertigt sind.
Sie sind eine Unterstützung von legitimer Selbstverteidigung –
dadurch werden wir nicht zu einer Kriegspartei.

V. Aber keinen dritten Weltkrieg

Aber es bleibt, das ist mein letzter Punkt, eine schwierige Gradwanderung.
Der dritte Weltkrieg droht durchaus am Horizont.
Es darf keine Eskalation wie 1914 geben.
Wir müssen klüger agieren als Wilhelm II. und seine Zeitgenossen.
Tod und Gewalt in der Ukraine werden kein bisschen besser dadurch,
dass sie durch einen Weltkrieg um das hundert- oder tausendfache gesteigert werden. Denn sonst bleibt die Apokalypse keine Metapher einer politischen Rede. Sie wird Wirklichkeit, wenn nämlich Atommächte gegeneinander Krieg führen würden.

Die apokalyptischen Reiter galoppieren wieder.
Aber wir können sie stoppen.
Liberale Demokratien haben sich als lernfähig, anpassungsfähig, innovativ und widerstandskräftig bewiesen. Immer wieder.

Die Freiheit hat eine Pandemie überstanden.
Die Freiheit wird auch Putin überstehen.

‒ Es gilt das gesprochene Wort! ‒

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