Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauerinnen! Liebe Zuschauer! Vor ziemlich genau 30 Jahren, im Frühling 1992, arbeiteten Abgeordnete der SPD-Fraktion und Abgeordnete der FDP-Fraktion an einem Gruppenantrag. Dieser Gruppenantrag hatte die Veränderung des damaligen § 218 des Strafgesetzbuches zum Gegenstand, und er enthielt bereits alle wesentlichen Eckpunkte der noch heute geltenden Beratungslösung. Er setzte sich in einem Verfahren von insgesamt sieben Anträgen durch, und wenige Zeit später ist dieses Papier in einen Gesetzentwurf überführt worden, der dann auch die Mehrheit im Haus fand. Und das ist bis heute das geltende Recht.
Warum erwähne ich das hier? Immer wieder wird falsch behauptet, die Entscheidung über 219a, die wir heute treffen, sei eine Respektlosigkeit oder gar Unterhöhlung des Lebensschutzkonzeptes von 218.
Dazu möchte ich zwei Dinge sagen.
Erstens. Uns muss niemand den Respekt vor diesem historischen Kompromiss lehren. Es waren unsere politischen Vorgänger, die ihn geschmiedet und vorbereitet haben.
Zweitens. Es ist eine juristische, eine politische und eine historische Wahrheit, dass § 218 des Strafgesetzbuches und § 219a nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben. Das ist keine Beeinträchtigung des Lebensschutzkonzeptes. Ich bitte, diese Wahrheit zu akzeptieren.
Das, worum es heute eigentlich geht, kann man an der Lebenswirklichkeit erkennen. Stellen sie sich dazu bitte eine junge Frau vor, die schwanger ist und die in Erwägung zieht, diese Schwangerschaft zu unterbrechen. Da stellen sich sehr schwierige Fragen, und es gibt im Regelfall ein großes Bedürfnis nach Orientierung, nach Information. In unserer digitalen Wirklichkeit führt dieses Bedürfnis natürlich in sehr vielen Fällen ins Internet, weil dort eine gefühlte Anonymität und Privatheit herrscht. Deshalb ist die Schwelle, dort nach Informationen zu suchen, erst mal niedriger, als sich einem Dritten, vielleicht einem fremden Menschen, anzuvertrauen. Das ist die Lebenswirklichkeit.
Die Rechtslage dort sieht heute wie folgt aus: Im Internet erlauben wir jedem Verschwörungstheoretiker, jeder Fake-News-Schleuder jeden Unsinn über Schwangerschaftsabbrüche zu verbreiten. Aber qualifizierten Ärztinnen und Ärzten als Hütern der Wissenschaft, der Fakten, der Sachlichkeit und der Aufklärung verbieten wir, sachliche Informationen bereitzustellen. Das ist doch absurd.
Das ist ein Anachronismus, das ist eine Ungerechtigkeit, und das ist die Konsequenz aus 219a. Deshalb schaffen wir ihn ab, meine Damen und Herren.
Drei Sorgen möchte ich an dieser Stelle nehmen; denn wir müssen hier ja wirklich eine ernsthafte Debatte führen.
Erstens. Diese Rechtsänderung - das möchte ich noch mal sagen - hat keine Auswirkungen auf das Lebensschutzkonzept von § 218 des Strafgesetzbuches.
Zweitens. Die Gefahr abstoßender, irreführender Werbung besteht nicht. Denn wir haben in unserem Entwurf das Heilmittelwerbegesetz so erweitert, dass es auch Schwangerschaftsabbrüche, die nicht medizinisch indiziert sind, mit umfasst. Das heißt, die strengen Regeln des Heilmittelwerbegesetzes gelten auch hier.
Das Berufsrecht der Ärztinnen und Ärzte gebietet ohnehin, nur sachlich zu informieren und keine reißerische Werbung zu betreiben.
Und eine dritte Sorge möchte ich nehmen, die auch immer wieder geäußert wird: Geht es darum oder führt es dazu, dass ein Schwangerschaftsabbruch dadurch wahrscheinlicher wird? Aber darum geht es gar nicht. Wir wollen, dass eine Frau, wenn sie es möchte, informierter entscheiden kann, und das sollte in einer aufgeklärten Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein, meine Damen und Herren.
Einen letzten Gedanken möchte ich äußern, weil wir in unserem Gesetzentwurf für die wenigen, aber schwerwiegenden Fälle, wo es schon zu einer Verurteilung kam, eine Rehabilitierungslösung aufgenommen haben. Die Entscheidung haben wir uns nicht leicht gemacht; denn das ist immer ein Eingriff in die Gewaltenteilung. Aber es geht hier um wenige Fälle. Es ist, glaube ich, deshalb richtig und wichtig, weil wir die verurteilten Ärztinnen und Ärzte nicht auf den Gnadenweg beim Bundespräsidenten zwingen wollen. Sie sollten nicht um Gnade bitten müssen, sondern wir sollten das Problem aus der Welt schaffen.
Wir hätten es schon im letzten Bundestag tun können. Der Gesetzgeber hätte schon handeln können. Die Mehrheit war da. Die Kraft, die die alte Koalition nicht hatte, hat dazu jetzt die Fortschrittskoalition.