Preisträger:
Camila de la Fuente (Künstlername „CamdelaFu“, Preisträgerin 2020, Preisverleihung hier nachgeholt),
Pawel Kuczynski (Preisträger 2022),
Philipp Heinisch (Sonderpreis)
Wie schön, dass nach zwei Jahren dieser Preis wieder verliehen wird, und wie schön, dass wir dazu persönlich zusammenkommen: zur Verleihung des Karikaturpreises der Deutschen Anwaltschaft. Ich freue mich sehr, aus diesem Anlass sprechen zu dürfen.
Wer einen Karikaturpreis vergibt, der prämiert nicht nur Karikaturen: Er feiert die Freiheit der Kunst und der Meinung, und er feiert damit auch den Streit. Die Überschrift zu dieser Veranstaltung „Plädoyers für eine streitbare Kunst“ könnte also gar nicht besser gewählt sein.
Ich will mich dem Thema dieser Preisverleihung nicht entziehen und selbst ein kurzes Plädoyer halten für den Streit und für die Freiheit zu streiten. Dabei werden Sie mir hoffentlich nachsehen, dass ich, was den Humor angeht, nicht vorhabe, in einen Wettstreit mit den Karikaturisten zu treten.
Womit wir schon beim Thema wären: Dem Streit, wie auch dem Wettstreit haftet kein grundsätzlicher Makel an. Sport, ob selbst ausgeübt oder selbst angeschaut, wäre nicht so beliebt, wenn die meisten Menschen dem Wettstreit nichts Positives abgewinnen könnten. Doch beim schlichten Wort „Streit“ denken viele oft ans Einander-Anschreien, Herumtoben und Haareziehen, also an etwas äußerst Unangenehmes.
Und tatsächlich dient der Streit nicht dazu, uns unmittelbar Glücks- und Wohlgefühle zu bescheren. Im Streit gilt es, seine Meinung deutlich zu vertreten und zu hoffen, dass man sich durchsetzt – am besten mit Argumenten, die andere überzeugen. Den anwesenden Anwälten ist der Streit tägliches Geschäft: als Rechtsstreit.
Streiten ist anstrengend. Für alle Beteiligten. Aber es ist auch notwendig, zumindest, wenn man in einer liberalen Demokratie leben möchte. Denn, um den großen Liberalen Ralf Dahrendorf zu zitieren: „Liberale Demokratie ist Regierung durch Konflikt.“
„…aber mit Respekt“ – wird einem oft mahnend entgegengerufen, wenn man sich für das Recht auf den Streit und auf die kontroverse Meinung ausspricht. Und gegen Respekt ist grundsätzlich ja nichts einzuwenden – nur darf er nicht dazu führen, dass wir bestimmte Dinge weder ansprechen noch aussprechen oder eben karikieren.
Wie denn, fragte einmal Salman Rushdie – vor dem wir uns verneigen und dem wir aus tiefstem Herzen gute und vollständige Genesung wünschen! – wie denn, fragte der Freiheitsmärtyrer Rushdie, eine „respektvolle“ politische Karikatur bitteschön aussehen solle?
Damit möchte ich, liebe Prämierte, nicht behaupten, dass Ihnen diese Quadratur des Kreises nicht schon gelungen sei; aber ich will doch auf die Schwierigkeiten hinweisen, die entstehen, wenn wir uns in gewissen Bereichen beschränken, erst recht beschränken durch die Verwendung eines in seinem Bedeutungsreichtum etwas wolkigen Begriffs wie dem des Respekts. Und wer entscheidet denn, was respektvoll ist?
Vielleicht haben Sie ja die Karikatur Putins in der Neuen Zürcher Zeitung in diesem Sommer gesehen. Man sieht darauf sein Konterfei, gänzlich unverzerrt, doch seine Nase schmückt eine knallrote Clownsnase und unter seinem linken Auge prangt ein Veilchen in Regenbogenfarben. Die russische Botschaft in Bern hat sich über die „beleidigende Karikatur“ beschwert und der Zeitung mit einer Klage gedroht.
Aus der Sicht der russischen Botschaft hat man es also ohne Zweifel mit einer respektlosen Karikatur zu tun. Und wenn man Respekt als Rücksichtnahme übersetzt, so stimmt das sicher, denn auf Putins Inszenierung als Bannerträger eines neolithischen Männlichkeitskultes wird hier eindeutig keine Rücksicht genommen.
Womit wir wieder bei Rushdies rhetorischer Frage wären: Wie soll sie aussehen, die respektvolle politische Karikatur? Und ich möchte hinzufügen: Wen würde eine solche interessieren?
Hinter der Forderung nach Respekt scheint mir der löbliche Anspruch zu stehen, die Gefühle anderer nicht zu verletzen, eben niemanden zu beleidigen. Das ist die richtige Leitlinie im privaten Verkehr. Aber in der öffentlichen Debatte muss mehr erlaubt sein.
Hinzu kommt: Das Beleidigtsein setzt ja nicht den Straftatbestand der Beleidigung voraus. Immer häufiger fühlen sich Menschen beleidigt, ohne dass man sie direkt angesprochen, geschweige denn eine Beleidigung ausgesprochen hätte. Nicht selten hört man glühende Bekenntnisse zur Meinungsfreiheit, die dann oft mit einem derart großen „Aber“ versehen sind, dass es das Bekenntnis doch ziemlich stark überlagert.
Ich möchte mein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit lieber nur mit einem kleinen „Aber“ versehen: „aber die Gesetze müssen eingehalten werden.“ Denn der Konflikt muss moderiert werden, auch das war Ralf Dahrendorf klar. Im Extremfall eben durch das Gesetz. Wie er darüber hinaus moderiert wird, muss immer wieder gesellschaftlich ausgehandelt werden. Was natürlich bedeutet: Auch über die Moderation des Konflikts kann es zum Konflikt kommen. Es geht eben nicht anders.
Etwa in den sozialen Netzwerken aber kann eine kluge und sensible Moderation die Diskussionen, wo sie aus dem Ruder zu laufen drohen, durchaus in konstruktive und produktive Bahnen lenken – es gibt dafür immer wieder Beispiele. Trotzdem: In einem Streit kann es zu emotionalen Verletzungen kommen, vor denen auch die Gesetze nicht schützen. Die Lösung darf aber nicht sein, jeden Streit zu vermeiden, um ja nichts Verletzendes zu sagen, zu schreiben, zu zeichnen.
Wir können nicht vernünftig streiten, wenn wir uns nicht die Freiheit nehmen zu äußern, was wir denken. Dass dadurch nicht dauernde Harmonie entsteht, ist der Preis der Freiheit, von dem bereits der englische Dichter John Milton in seiner großen Rede von 1644 gegen die Zensur sprach. Milton sagte: „Niemand auf Erden möge erwarten, daß die Freiheit, auf die wir hoffen können, so beschaffen sein werde, daß sie zu keiner Zeit in dem Gemeinwesen nicht auch Raum für Mißhelligkeiten ließe“ – wichtig nur, dass man Beschwerden offen anhöre, sorgsam erwäge und rasch aus der Welt schaffe!
Ein Wort, das man heute oft hört, ist „Resilienz“. Die verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche sollen „resilienter“ werden. Ich würde mir wünschen, dass wir emotional resilienter werden, dass wir nicht bei jeder Verstimmung, jedem Unwohlsein glauben, dass da jetzt jemand kommen müsse – zum Beispiel der Staat –, um Abhilfe zu schaffen. Eine Dosis Stoizismus kann uns nicht schaden.
Das bedeutet zugleich: Wenn man eine Meinung äußert, die dann stark kritisiert wird, muss man auch das abkönnen. Die Meinungsfreiheit ist nicht in Gefahr, wenn viele anderer Meinung sind. Die Meinungsfreiheit ist nicht in Gefahr, wenn die Mehrheit anderer Meinung ist. Und die Meinungsfreiheit ist auch nicht in Gefahr, wenn man der einzige mit einer bestimmten Meinung ist. Die Meinungsfreiheit ist allerdings in Gefahr, wenn zu viele Hürden aufgestellt werden, um Meinungen zu äußern, und wenn die Lautesten oder gar die Gewaltbereiten entscheiden, wer wo auftreten darf und was man malen, sagen oder komponieren kann.
Wer die Meinungsfreiheit einschränkt oder unter Druck setzt, der schränkt zugleich ein anderes Recht ein, das ebenso durch das Grundgesetz geschützt ist. Artikel 5 Absatz 1 lautet: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“
Dass das Grundgesetz hier Meinungs- und Informationsfreiheit in einem Satz regelt, scheint mir nicht nur der Juristenvorliebe geschuldet, möglichst viel auf wenig Raum zu fassen. Vielmehr glaube ich, dass es ein Hinweis auf den tiefen Zusammenhang dieser beiden Freiheiten ist, die gleichsam ein Dioskurenpaar bilden. Denn wie sollte man sich informieren können über Meinungen, deren Veröffentlichung verboten ist? Wer die Meinungsfreiheit des einen beschränkt, beschränkt die Freiheit des anderen zu sehen, zu hören, zu lesen, was sie oder er will, die Freiheit, sich selbst ein Bild zu machen.
Zensur trifft nie nur die eine Künstlerin oder den einen Schriftsteller. Sie trifft in noch viel größerer Zahl die Zuschauer oder Leserinnen. Wer die Veröffentlichung von Texten, Bildern oder Musik unterdrückt, der entzieht anderen regelmäßig die Möglichkeit, für sich selbst zu urteilen, ja der spricht anderen das Urteilsvermögen ab und behält sich das Recht alleiniger Interpretation vor. Der Paternalismus und die Überheblichkeit, andere für nicht urteilsfähig zu halten, die hier zum Ausdruck kommen, sollten häufiger und deutlicher als solche benannt werden.
Ich bin sehr froh, liebe Frau de la Fuente, lieber Herr Kuczynski und lieber Herr Heinisch, dass ich mit meinen eigenen Augen Ihre Werke sehen und selbst urteilen darf, und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mit Ihrer Kunst dazu beitragen, dass wir uns informieren, uns amüsieren und natürlich auch: uns streiten.
Herzlichen Dank!