Ich finde es einen faszinierenden Gedanken, sich vorzustellen, wie in einigen hundert Jahren ein Mensch aus dem wieder freigelegten Grundstein hier die Grundsteinkassette hebt; sich mit einem Korkenzieher die Flasche „Wein des Bundesgerichtshofs“ öffnet, Rotwein nehme ich an – der bestimmt auch dann noch wunderbar ist, wir sind ja in Baden –; der dazu dann die heutigen „Badischen Neuesten Nachrichten“ entziffert und in den beiden heute neuesten Bänden der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen beziehungsweise in Zivilsachen blättert.
Weiß er oder sie dann noch, was Recht ist, was Normen sind? Oder ist alles Technik, auf unvorstellbarem informations- und biotechnologischem Niveau? Oder ist wieder alles Gewalt und Barbarei? Oder beides?
Wir können es nicht wissen. Aber wir wissen heute, wenn wir den Grundstein für ein Gebäude eines obersten deutschen Bundesgerichts legen, dass wir einen Grundstein für einen Grundstein unserer Rechts- und Freiheitsordnung legen – damit eben nicht eines Tages Gewalt und Barbarei herrschen, sondern Freiheit und Recht.
Grundstein, Fundamente – sind die Garantie für die Stabilität des Ganzen.
Und unsere obersten Bundesgerichte sind tatsächlich diese Garantie in der Geschichte der Bundesrepublik bisher gewesen. Dieter Grimm hat gerade in seinem neuen Buch, einem „Beitrag zur Wirkungsgeschichte des Grundgesetzes“, beklagt, dass diese Bedeutung des Rechts für die gute Entwicklung unserer liberalen Demokratie in der Geschichtswissenschaft und im deutschen Geschichtsbewusstsein eine viel zu geringe Rolle spiele.
Ohne unsere obersten Bundesgerichte, ohne das Bundesverfassungsgericht oder den Bundesgerichtshof, wäre dieses Land ein anderes.
Man versteht die politische und soziale Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht, wenn man die Urteile dieser Gerichte nicht kennt. Und, nebenbei: Wir Rezipienten und Adressaten dieser Entscheidungen wären um viele leuchtende Proben umsichtiger Urteilskraft im Dienste von Freiheit und Recht ärmer!
Das ist seit über sieben Jahrzehnten so. Und heute muss es sich neu bewähren – und deshalb ist diese Grundsteinlegung auch ein Zeitzeichen, ein Signal.
Denn wir leben in Zeiten, in denen die Herrschaft des Rechts kein Selbstläufer ist. Wir leben in Zeiten, in denen der Neoautoritarismus in der Welt uns, der freien Welt, glaubt beweisen zu können, dass das alles nichts zählt, nichts wiegt; dass das Recht schwach sei und die Idee der Menschenrechte von Schwächlingen stamme.
Der Neoautoritarismus glaubt, wir würden unter militärischem und wirtschaftlichem Druck Abstriche vom Recht machen; er glaubt, wir würden Gerechtigkeit und Völkerrecht billiger Energie unterordnen; er glaubt, wir, die liberalen Demokratien, würden uns entzweien unter diesem Druck.
Putin, der Neoautoritarismus, hat sich in all dem getäuscht – die Welt ist einig wie nie gegen den verbrecherischen Angriffskrieg in der Ukraine.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs ermittelt wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Der Generalbundesanwalt hier beim Bundesgerichtshof ermittelt. Wir stärken ihn gerade für diese Aufgabe. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft vor Ort weist im Augenblick mehr als 40.000 Verfahren auf, die im weitesten Sinne Kriegsverbrechen betreffen.
Diese Ermittlungsarbeit ist eine Aufgabe, die uns auf Dauer beschäftigen wird. Es wird viele Jahre brauchen, Tausende von Hinweisen auszuwerten und dann gerichtsverwertbare Beweise digital vorzuhalten – und zwar über Jahrzehnte: Bei Kriegsverbrechen gibt es keine Verjährung, wie Sie wissen.
Wir werden die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen vor Gericht stellen, wenn wir ihrer habhaft werden.
Inter arma silent leges – Wenn die Waffen sprechen, schweigt das Recht; das war einmal, das ist nicht mehr. Wenn die Waffen sprechen, lässt sich das Recht nicht den Mund verbieten.
Und gerade uns Deutschen ist klar im Angesicht der Geschichte unseres eigenen Landes: Nirgendwo dürfen sich Kriegsverbrecher sicher fühlen; erst recht nicht in Deutschland!
Wir klagen Unrecht an – und wir tun das auf dem Boden des Rechts, nach den strengen rechtsstaatlichen Regeln, die wir immer anlegen. Gegen diesen Angriff auf Recht und Gerechtigkeit dürfen wir von unseren eigenen Maßstäben keinen Deut abrücken. Denn sonst hätte Putin schon ein Stück weit gewonnen. Das darf nicht sein.
Die Herrschaft des Rechts ist heute herausgefordert wie lange nicht. Umso wichtiger ist es, sie, wo es geht, zu stärken, und zu überlegen, wie wir Recht, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschenrechte gemeinsam, als liberale Demokratien, noch besser durchsetzen.
Und umso wichtiger ist es, das will ich hinzufügen, auch darüber zu reden, wo wir selber, vielleicht, noch blinde Flecken haben – und unserem Anspruch auf universale Geltung des Rechts selbst noch nicht völlig gerecht werden; in Europa, in der freien Welt, bei der wirklich gleichen Anwendung des Völkerstrafrechts; auch bei unserer Unterstützung von Bewegungen für Recht und Freiheit in der Welt, wie gerade in diesen Wochen im Iran. Das alles ist eine Frage der Glaubwürdigkeit der Herrschaft des Rechts.
Ich freue mich, dass ich heute hier dabei bin und einen neuen Grundstein für den Bundesgerichtshof als einen Grundstein unserer Rechtsordnung mit lege! Die Fundamente des Rechts müssen gut gegründet sein in Zeiten wie diesen.
Danke für Ihre unverzichtbare Arbeit! Und alles Gute diesem Bau – und allen Erfolg Ihnen, die in diesem Bau weiter das Recht stärken werden!
Herzlichen Dank!