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20 Jahre Völkerstrafgesetzbuch

Rede des Bundesministers der Justiz, Dr. Marco Buschmann MdB, zur Eröffnung der Veranstaltung „20 Jahre Völkerstrafgesetzbuch" am 1. November im BMJ in Berlin

Rede
Dr. Marco Buschmann

Recht ist keine Schönwetterveranstaltung.
Recht beweist seine Kraft gerade in der Situation seiner Infragestellung, also im Konflikt.
Wir leben in Zeiten, in denen die Herrschaft des Rechts kein Selbstläufer ist.
Der Neoautoritarismus glaubt, der freien Welt beweisen zu können, dass Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit nichts zählten; dass das Recht schwach sei und die Idee der Menschenrechte von Schwächlingen stamme.

Im Jahr des 20. Geburtstages des deutschen Völkerstrafgesetzbuches, den wir zum Anlass dieser Veranstaltung hier genommen haben, glaubt der Neoautoritarismus, wir würden unter militärischem und wirtschaftlichem Druck Abstriche vom Recht machen; er glaubt, wir würden Gerechtigkeit und Völkerrecht billiger Energie unterordnen; er glaubt, wir, die liberalen Demokratien, würden uns entzweien unter diesem Druck.

Doch er hat sich getäuscht. Die Welt ist einig wie nie gegen den verbrecherischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Die Verurteilung, die die russische Verletzung des Gewaltverbots gefunden hat, ist international fast universell:
141 Staaten stimmten im März für eine entsprechende Resolution der UN-Vollversammlung, bei 5 Gegenstimmen und 31 Enthaltungen – noch zwei mehr Staaten, 143, waren es vor drei Wochen für die Verurteilung der Annexion ukrainischer Gebiete.
Die NATO ist einig und entschlossen.
Europa ist einig.
Gerade in Prag haben sich 44 Staaten im Format einer „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ an die Seite der Ukraine gestellt.
Beispiellose Sanktionen sind erlassen – und setzen Putins Regime zu.

Und das Recht arbeitet.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs ermittelt wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine.
Der Generalbundesanwalt ermittelt. Wir stärken ihn gerade für diese Aufgabe.
Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft vor Ort weist im Augenblick mehr als 40.000 Verfahren auf, die im weitesten Sinne Kriegsverbrechen betreffen. Wir werden gleich in einer Videoeinspielung den Ukrainischen Generalstaatsanwalt Andrij Kostin hören.
Auch Nichtregierungsorganisationen leisten in der Ukraine unersetzliche Arbeit.

Diese Ermittlungsarbeit ist eine Aufgabe, die uns auf Dauer beschäftigen wird. Es wird viele Jahre brauchen, Tausende von Hinweisen auszuwerten und dann als gerichtlich verwertbare Beweise digital vorzuhalten – und zwar über Jahrzehnte: Bei Kriegsverbrechen gibt es bekanntlich keine Verjährung.

Wir werden Ende November als Justizministerinnen und Justizminister im G7-Format in Berlin über eine noch intensivere und effizientere Zusammenarbeit und Koordination unserer Ermittlungsbemühungen sprechen.
Ein solches Format hat es bislang nicht gegeben. Wann, wenn nicht in diesem Jahr, macht es aber ganz besonders Sinn, sich im Kreis der Justizministerinnen und Justizminister enger zu vernetzen? Die Frage ist rhetorisch. Die Verfolgung der Kriegsverbrechen ist ein trauriger Anlass für dieses neue Format. Aber es zeigt eben auch: Im Jahr wachsender Herausforderungen rücken wir enger zusammen. Deshalb habe ich zu dieser Runde erstmals eingeladen, und ich freue mich über die breite Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen.

Ich bin sicher: Wir werden am Ende Verfahren wegen Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof auch gegen die höhere russische Führungsebene sehen. Wir werden Täter verhaften, wenn sie nach Europa kommen. Wir werden ein Russland nach Putin aber auch auffordern, mutmaßliche Kriegsverbrecher nach Den Haag auszuliefern.

Straflosigkeit für die geschehenen Kriegsverbrechen wäre eine große Niederlage für das Völkerrecht. Wir werden alles tun müssen, um sie zu vermeiden.

Inter arma silent leges – Wenn die Waffen sprechen, schweigt das Recht; das war einmal, das ist nicht mehr.

Wenn die Waffen sprechen, lässt sich das Recht nicht den Mund verbieten! So muss es heute lauten.

Und gerade uns Deutschen ist klar im Angesicht der Geschichte unseres eigenen Landes: Nirgendwo dürfen sich Kriegsverbrecher sicher fühlen; erst recht nicht in Deutschland!

Das Völkerstrafrecht fußt auf einem kraftvollen Versprechen: Kriegsverbrechen dürfen nicht straflos bleiben.

Nach den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen ist dieses Versprechen in den 90er Jahren mit den Internationalen Strafgerichtshöfen für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda eingelöst worden – 2002 schließlich mit der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.

Wir haben im selben Jahr mit dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch das deutsche Strafrecht an die Regelungen des Völkerstrafrechts und besonders eben an das Gründungsstatut des Internationalen Strafgerichtshofs angepasst.

Deutschland will bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen Vorbild sein.
Wir haben diesen Willen in den vergangenen Jahren vor allem gezeigt im Zusammenhang der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die vom syrischen Regime begangen wurden, und bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die in Syrien und im Irak vom sogenannten „Islamischen Staat“ verübt wurden.

Vor dem Oberlandesgericht Koblenz ist der weltweit erste Prozess gegen Funktionsträger des Assad-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt worden.
Das Gericht dürfte weltweit auch das erste Strafgericht sein, das nach eingehender Beweisaufnahme zu dem Schluss gelangt ist, dass der systematische und ausgedehnte Angriff gegen einen Teil der Zivilbevölkerung in Syrien auf einen Plan der Regierung unter Präsident Assad zurückgeht.
Diese Verfahren und Urteile werden von der internationalen Völkerrechtswissenschaft und den Internationalen Strafgerichtshöfen aufmerksam beobachtet – und entfalten eine völkergewohnheitsrechtliche Wirkung.

Wir prüfen gerade, was es an Mitteln und Strukturen braucht, um diese Urteile für eine noch breitere Wirkung systematisch ins Englische zu übersetzen, damit sie weltweit Wirkung entfalten können.

Wir klagen Unrecht an – und wir tun das auf dem Boden des Rechts, nach den strengen rechtsstaatlichen Regeln, die wir immer anlegen.

Wir verhandeln und wir urteilen auf dem Boden des Rechts, das die Rechtsbrecher verachtet haben und verachten.
Wir räumen ihnen die ihnen zustehenden Rechte ein, die sie selbst ihren Opfern systematisch verweigerten.
Sie behalten im Rechtsstaat ihre Würde als Person, die sie bei ihren Opfern mit Füßen traten.

Gegen diesen Angriff auf Recht und Gerechtigkeit dürfen wir von unseren eigenen rechtlichen Maßstäben keinen Deut abrücken.
Denn sonst hätte Putin schon ein Stück weit gewonnen.
Das darf nicht sein.

Die Herrschaft des Rechts ist heute herausgefordert wie lange nicht.
Deshalb muss die Herrschaft des Rechts glaubwürdig bleiben.
Das heißt auch: Wir müssen auch darüber reden, wo wir selber, vielleicht, noch blinde Flecken haben und unserem Anspruch auf universale Geltung des Rechts noch nicht völlig gerecht werden – in Europa, in der freien Welt, bei der wirklich gleichen Anwendung des Völkerstrafrechts; auch bei unserer Unterstützung von Bewegungen für Recht und Freiheit in der Welt, wie gerade in diesen Wochen im Iran.

Ich habe an der Harvard University vor zwei Wochen meinen Dank ausgesprochen für die Völkerrechts-Lektionen, die uns die Vereinigten Staaten in den Nürnberger Prozessen gegen Funktionsträger des Nazi-Regimes erteilt haben.
In seiner berühmten Eröffnungsrede stellte damals der US-Chefankläger Robert H. Jackson in Aussicht, dass das der Anklage zu Grunde gelegte neue Völkerstrafrecht von nun an für alle gelten solle; ich zitiere ihn:

„And let me make clear that while this law is first applied against German aggressors, the law includes, and if it is to serve a useful purpose it must condemn aggression by any other nations, including those which sit here now in judgement.“

Wir müssen Maßstäbe, die wir – wie ich finde zu Recht – für universell halten, auch auf uns selbst anwenden, auch gegen starke Staaten und auch, wenn es uns selbst unbequem ist und Nachteile mit sich bringt.
Wer Menschenrechte teilt, verneint sie ganz.

Nach zwanzig Jahren Völkerstrafgesetzbuch, und ich komme zum Schluss, wird auch über Reformen zu reden sein – etwa über eine mögliche Nebenklagefähigkeit der Straftatbestände des Völkerstrafgesetzbuches.
Über eine Opferbeteiligung in völkerstrafrechtlichen Verfahren vor deutschen Gerichten sprechen wir morgen hier in meinem Haus in einem nichtöffentlichen Fachgespräch zu strafprozessualen Fragen im Zusammenhang mit dem Völkerstrafrecht.
Auch auf der Herbst-Justizministerkonferenz am 10. November wird das Thema sein.

Vielleicht wird es auch gleich Thema sein – ich freue mich jedenfalls jetzt auf den Impuls von Claus Kreß und dann auf die Diskussion auf dem Podium und auf die Gespräche später!

Ich will noch dem Moderator danken heute, Dr. Frank Bräutigam, Journalist und Jurist, Leiter der ARD-Rechtsredaktion!

Möge diese wichtige Tagung also jetzt beginnen!

‒ Es gilt das gesprochene Wort! ‒

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