Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
In der Silvesternacht kam es in verschiedenen Großstädten zu völlig inakzeptablen Ausschreitungen. Feuerwehrfahrzeuge und Pkw sind in Brand gesetzt worden, es kam zu Straßensperren, und es kam vor allen Dingen auch zu Gewalt gegen Menschen, insbesondere gegen Menschen, die anderen Menschen zu Hilfe geeilt sind.
Wir haben etwa 145 Festnahmen erlebt, von Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Etwa zwei Drittel dieser Festnahmen beruhen auf Delikten wie Brandstiftung, Sachbeschädigung und Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz. Und 44 Festnahmen beruhen auf dem Umstand, dass hier Gewalt gegen Einsatzkräfte, gegen Feuerwehrleute und Polizisten, verübt worden ist. Die Ermittlungen laufen noch; deshalb können sich diese Zahlen noch ändern.
Ich denke, wir als Haus werden hier doch wohl gemeinsam feststellen können, dass das völlig inakzeptabel ist. Jedwede Gewalt gegen andere Menschen ist inakzeptabel; aber die Gewalt gegen Menschen, deren Beruf es ist, anderen Menschen zu helfen, hat eine besondere Unwertqualität. Das sollten wir gemeinsam verurteilen. Das ist völlig inakzeptabel.
Ich möchte - auch wenn die Vorrednerin das schon getan hat; aber ich glaube, auch das sage ich in unser aller Namen - die Gelegenheit auch nutzen, um insbesondere den Einsatzkräften, die verletzt worden sind, zum Teil schwer verletzt worden sind, von dieser Stelle aus eine schnelle und vollständige Genesung zu wünschen. Ich glaube, diese Einsatzkräfte wünschen sich eine Debatte, in der es darum geht, wie sich solche Dinge nicht wiederholen. Diese Einsatzkräfte wünschen sich keine Debatte für den Wahlkampf um das Berliner Abgeordnetenhaus, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Was ist nun nötig? Wenn Menschen glauben, dem Rechtsstaat derart auf der Nase herumtanzen zu können, muss er zeigen, dass er wehrhaft ist. Und das ist er auch. Ich muss als Bundesjustizminister vorwegschicken: Natürlich kann ich in konkreten Ermittlungsverfahren den Justizbehörden nicht sagen, was sie zu tun haben. Die Justizbehörden sind in Deutschland unabhängig. Wir haben Gewaltenteilung. Das kann, will und möchte auch niemand ändern. Aber ich glaube, man kann hier schon eine klare gesellschaftliche Erwartungshaltung formulieren. Diese gesellschaftliche Erwartungshaltung ist die - da sind wir uns in der Bundesregierung auch einig -: Diese Taten müssen zügig aufgeklärt werden. Wenn wir Beweismittel für einen hinreichenden Tatverdacht haben, muss schnell Anklage erhoben werden.
Und wenn sich aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung ergibt, dass die Beschuldigten Schuldige sind, dann brauchen wir auch abschreckende und angemessene Strafen. Das ist das, was wir jetzt von den zuständigen Stellen erwarten. Das wird man hier wohl auch sagen dürfen.
Meine Damen und Herren, wenn Menschen dem Rechtsstaat auf der Nase herumtanzen, dann muss er Zähne zeigen. Diese Zähne hat der Rechtsstaat auch. Es wird immer wieder der Eindruck erweckt, dass sie nicht vorhanden wären. Ich will das hier an dieser Stelle einmal sagen: Wer Sachbeschädigungen begeht, den können wir auch für mehrere Jahre hinter Gitter schicken. Wer andere Menschen verletzt, wer eine Körperverletzung vollendet oder versucht, den können wir für mehrere Jahre ins Gefängnis stecken. Wer Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte leistet, den können wir für mehrere Jahre ins Gefängnis stecken. Und wer das in einem besonders schweren Fall tut - sprich: wer gefährliche Werkzeuge verwendet oder dies gemeinschaftlich tut -, den können wir bis zu fünf Jahre hinter Schloss und Riegel bringen.
Meine Damen und Herren, ich würde mir wünschen, dass, wenn es durch die Schuld des Täters angezeigt ist, diese Strafrahmen auch einmal ausgeschöpft würden.
Deshalb: Wir haben kein Gesetzgebungsdefizit. Wenn es ein Defizit gibt, dann ist es ein Gesetzdurchsetzungsdefizit. Deshalb gehen plumpe, reflexartige Forderungen nach mehr Straftatbeständen und nach höheren Strafrahmen schlichtweg an der Wirklichkeit vorbei, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Natürlich ist es vollkommen richtig, sich die Frage zu stellen: Was sind das möglicherweise für Strukturen, die dieses Verhalten begünstigen? Was befördert deviantes, delinquentes Verhalten? Was befördert gewalttätiges Verhalten? Ich finde, der Debatte muss man sich völlig gelassen und offen stellen. Natürlich gibt es in Deutschland so etwas wie Clankriminalität. In meinem Wahlkreis gehören Clans - leider - zum täglichen Dasein dazu. Das so zu benennen, hat übrigens auch nichts Rassistisches.
Bei mir melden sich Kleingewerbetreibende mit und ohne Herkunftsgeschichte, gerne auch türkischstämmige Gemüsehändler. Sie würden ihr Geld lieber in die Ausbildung ihrer Kinder investieren als in das Schutzgeld der libanesischen Clans. Meine Damen und Herren, das wird man auch aussprechen dürfen.
Es gehört zur Wahrheit aber dazu, dass wir das vernünftig aufklären müssen, methodisch sauber, ohne solche Dinge für Landtagswahlkämpfe politisch auszubeuten und ohne Ressentiments und Vorurteile zu schüren. Das gehört zu einer seriösen Debatte dazu.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kann doch nicht ernsthaft ein Zweifel darüber bestehen, dass eine Forderung wie die, die Vornamen von Tätern zu veröffentlichen, nichts, aber auch gar nichts zu einer seriösen Aufarbeitung beiträgt, sondern schlichtweg nur ausbeuten will, was es an Ressentiments gibt. - Herr Brandner fragt, warum nicht. Das kann ich Ihnen ganz einfach erklären, an einem ganz persönlichen Beispiel. Wissen Sie, wie mein Vorname lautet? „Marco“, mit „c“ geschrieben. Macht mich das jetzt zum Kind italienischer Einwanderer? Könnte man meinen, ist aber Quatsch. Ich habe nicht vor, Straftaten zu begehen. Aber würde ich dereinst erwischt werden, würde mich mein Vorname jetzt zum Mitglied eines sizilianischen Mafiaclans machen? Es ist doch offensichtlich Unsinn, was Sie da erzählen.
Herr Brandner gibt immer noch nicht auf. Ich gebe Ihnen ein Gegenbeispiel. Heute Abend ist bei mir im Bundesministerium der Justiz der rechtspolitische Neujahrsempfang. Wissen Sie, wer da redet? Udo redet da. Udo - das Gegenbeispiel - ist das Kind italienischer Einwanderer. Ich rede über den ehemaligen Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio.
Das zeigt doch, dass die Vornamendebatte total misleading ist. Die führt in die eine wie in die andere Richtung, aber in jedem Fall in die völlig falsche Richtung. Da geht es nur um die Ausbeutung von Ressentiments und Vorurteilen.
Deshalb möchte ich hier eines unterstreichen: Die Fortschrittskoalition hat sich vorgenommen, dass wir Kriminal- und Strafrechtspolitik nicht auf der Basis von Vorurteilen und auch nicht auf der Basis von gefühlten Wahrheiten betreiben, sondern auf der Basis von Evidenz und Wissenschaftlichkeit. Wir stehen damit in der Tradition von Cesare Beccaria - das ist tatsächlich ein Italiener - über Feuerbach bis eben zu uns. Die Strafrechtspolitik ist viel zu wichtig, als dass wir sie auf dem Niveau von Stammtischparolen betreiben können, und dafür steht die Fortschrittskoalition.
Herzlichen Dank.