Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen! Liebe Zuschauer!
Spätestens seit den Dieselklagen wissen wir, dass Massenverfahren eine starke Belastung für unsere Gerichte darstellen: Manchmal gehen Hunderte, Tausende gleichartig gelagerter Fälle mit Hunderten von Seiten langen Schriftsätzen dort ein. Und das ist natürlich nicht nur für die Gerichte ein Problem. Auch viele Verbraucherinnen und Verbraucher stellen sich die Frage: Warum dauert es in meinem Verfahren so lange, und warum wird über dieselben Fragen, teilweise auch an unterschiedlichen Gerichten überall in der Republik, so lange parallel nachgedacht?
Die Frage, wie man hier Abhilfe schaffen kann, wie man Gerichte entlasten kann, wie man schneller für Rechtssicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher sorgen kann, war Gegenstand der Erörterung einer Arbeitsgruppe zwischen Bund und Ländern, die unter der Federführung des Bundesministeriums der Justiz und des Landes Nordrhein-Westfalen stattfand. Aus dieser Arbeitsgruppe heraus ist die Idee für das, was wir Ihnen heute vorschlagen wollen, entstanden, nämlich ein Leitentscheidungsverfahren. Das bedeutet einfach Folgendes: dass ein anhängiges Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof von ihm eben zu einem Leitentscheidungsverfahren erklärt werden kann, ein Verfahren, in dem wichtige Rechtsfragen für eine Vielzahl von Entscheidungen geklärt werden können.
Die Pointe ist, dass der BGH das auch dann tun kann, wenn die Parteien das eigentlich gar nicht mehr wollen. Und warum ist das so wichtig? Weil es häufig so ist, dass ein Fall mit wichtigen Rechtsfragen zwar beim BGH landet, dass sich die Parteien aber anderweitig einigen und die Rechtsfrage dann eben nicht einheitlich vom BGH entschieden wird. So können wir sicherstellen, dass diese Rechtsfragen auch, wenn sich die Parteien anderweitig geeinigt haben, schnell, einheitlich und rechtssicher geklärt werden. Das ist gut für die Rechtssicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das entlastet auch Gerichte.
Warum führt das zu einer Entlastung? Das ist natürlich klar: Verbraucherinnen und Verbraucher können schneller einsehen, ob ihre Klage Aussicht auf Erfolg hat, und aussichtslose Klagen werden dann gar nicht erst erhoben. Auch die Gerichte selber können sich an diesen Leitentscheidungen orientieren und wissen schneller, wie sie rechtlich vertretbar und auch gut entscheiden können.
Es gibt natürlich noch eine weitere Entlastungsperspektive, nämlich dass die Gerichte, die solche Verfahren führen, für die diese Leitentscheidungen wichtig sind, Verfahren aussetzen können, aber - das ist der Vorschlag, den wir in diesem Entwurf machen - nur mit Zustimmung der Parteien.
Ich will es offen ansprechen: Es gab auch einige, die sich gewünscht hätten, dass diese Verfahren auch gegen den Willen der Parteien ausgesetzt werden können. Aber ich möchte betonen, dass wir das aus guten Gründen nicht gemacht haben. Wir wollen es nämlich bei der Dispositionsmaxime belassen. Was bedeutet das? Im Zivilprozess entscheiden die Parteien über den Verlauf des Verfahrens, und das ist Ausdruck der Privatautonomie und letztendlich auch bürgerlicher Freiheit im Verfassungsstaat. Diese wollen wir mit unserem Entwurf schützen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Wir sehen: Das ist ein weiterer Schritt hin zur Entlastung der Gerichte. Es ist nicht der erste - wir haben beispielsweise ja schon das Abhilfeverfahren eingeführt -, und es wird auch nicht der letzte sein; denn wir wollen, dass unsere Gerichte schneller zu Entscheidungen kommen. Wir wollen die Arbeitsüberlastung bekämpfen, und das ist gut für den Rechtsstaat. Das ist gut für die Justiz, und das ist auch gut fürs rechtssuchende Publikum. Ich wünsche mir wohlwollende Beratungen und freue mich auch auf den Diskurs mit Ihnen.
Herzlichen Dank.