Navigation und Service

Rede zur ersten Lesung des Gesetzentwurfes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes im Deutschen Bundestag

Rede des Bundesministers der Justiz, Dr. Marco Buschmann, zur ersten Lesung des Gesetzentwurfes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes am 11. April 2024 im Deutschen Bundestag

Rede


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und liebe Zuschauer! Die Bundesregierung legt Ihnen einen Gesetzentwurf zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes vor. Was für ein Wort: Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz. Das klingt technisch, das klingt kompliziert, und es klingt in den Ohren einiger vielleicht sogar so, als hätte es keine große Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger.
Aber das ist mitnichten so, und das will ich Ihnen anhand eines ganz bekannten Beispiels kurz erläutern. Im Jahr 2000 gab ein großes Unternehmen der Telekommunikationsbranche zum dritten Mal Aktien aus. Viele Kleinanleger kauften diese Aktie und verließen sich damals auf die Angaben, die das Unternehmen im Börsenprospekt gemacht hatte. Kurz danach schmierte der Kurs dramatisch ab, viele Menschen verloren viel Geld. Sie fühlten sich über den Tisch gezogen, und das auch zu Recht; denn die Angaben im Börsenprospekt waren schlicht falsch. Ungefähr 16 000 Kleinanleger verklagten das Unternehmen daraufhin in einem Musterverfahren auf Schadensersatz. Der Prozess zog sich hin, und geschlagene 20 Jahre - 20 Jahre! - dauerte es, bis sie ein Vergleichsangebot erhielten, 20 Jahre, bis sie ein Stück Genugtuung erfuhren und ihr Schaden ausgeglichen wurde. 20 Jahre - das muss man sich vergegenwärtigen - bedeuten, dass einige der Geschädigten dieses Ereignis gar nicht mehr erlebt haben. So etwas, meine Damen und Herren, darf sich nicht wiederholen. Dazu wollen wir mit diesem Gesetzentwurf beitragen.

Wir sorgen mit diesem Gesetzentwurf für schnellere und effizientere Verfahren. Anleger brauchen wirksame Instrumente zur zügigen Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche. Auch Gerichte stehen in solchen Massenverfahren vor enormen Herausforderungen. Und solche Verfahren sind letztlich auch gut für den Kapitalmarkt, für den Kapitalstandort in Deutschland; denn der ist ja auf das Vertrauen der Anlegerinnen und Anleger angewiesen. Und das Vertrauen der Anlegerinnen und Anleger stärkt man eben dann, wenn diejenigen, die aufgrund von Regelbrüchen zu Schaden kommen, diesen Schaden schnell ersetzt bekommen.

Wir wollen deshalb die bestehenden Instrumente verstetigen und verbessern. Anleger sollen schneller zu ihrem Recht kommen, und die Verfahren sollen für die Gerichte leichter handhabbar werden. Das stärkt das Vertrauen in die Justiz, und das schafft auch auf dem Kapitalmarkt größere Rechtssicherheit.

Was werden wir jetzt konkret tun, um diese Ziele zu erreichen? Wir verkürzen den Zeitraum von der Einzelklage vor dem Landgericht bis zum Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht. Dafür passen wir gesetzliche Fristen an, konzentrieren Zuständigkeiten und verschlanken das Verfahren bis zum Eröffnungsbeschluss des Oberlandesgerichts. Wir stärken auch die Stellung des Oberlandesgerichts. Es soll selbst die Feststellungsziele für das Musterverfahren formulieren, die sich aus den Einzelklagen ergeben. Denn momentan ist es so: Ein Oberlandesgericht darf den oft sehr kleinteiligen Streitstoff aus all den Ausgangsverfahren nicht auf das Wichtigste reduzieren. Ein solches Verbot der Reduktion auf das Wesentliche erschwert die Verfahren und zieht sie häufig in die Länge. Ich finde, das müssen wir dringend ändern, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Wir ermöglichen es außerdem, die häufig sehr hohe Zahl der Verfahrensbeteiligten im Musterverfahren zu reduzieren. Künftig sollen nicht mehr automatisch alle Einzelklagen, die den Gegenstand des Musterverfahrens betreffen, in dieses hineingedrängt werden. Wollen Parteien nicht am Musterverfahren teilnehmen, sollen sie ihren Rechtsstreit künftig auch unabhängig als Individualverfahren führen können.

Wir setzen mit der Reform auch da an, wo wir in Deutschland leider noch viel zu häufig hinterherhinken, nämlich bei der Digitalisierung. Stand jetzt haben die Gerichte bis 2026 Zeit, um die Gerichtsakten elektronisch zu führen. Wir wollen, dass sie zumindest im Musterverfahren schon vor Ablauf der Frist auf vollständig digitalisierte Akten umsteigen. Das beschleunigt die Prozesse, beispielsweise bei der Akteneinsicht. Haben Sie einen physischen Papieraktenträger, kann der immer nur zu einem Zeitpunkt bei einem Verfahrensbeteiligten sein. Das heißt: Die Dinge ziehen sich in die Länge. In eine digitale Akte können alle Verfahrensbeteiligten im Zweifelsfall parallel Einsicht erhalten. Das wird einen Tempovorteil bringen und ist deshalb auch eine gute Nachricht für die Digitalisierung der Justiz in Deutschland.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzentwurf stärkt also die Anlegerkultur in Deutschland. Er sorgt für einen attraktiven Anlagestandort, weil er das Vertrauen in den deutschen Kapitalmarkt stärkt, Verfahren beschleunigt. Er beschleunigt auch Gerichtsverfahren und trägt damit zur Rechtssicherheit bei. Das ist gut für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das ist gut für die Gerechtigkeit in diesem Land. Deshalb hoffe ich auf wohlwollende Beratungen.

Herzlichen Dank.

‒ Es gilt das gesprochene Wort! ‒

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Das Bundesministerium der Justiz verwendet für den Betrieb dieser Internetseite technisch notwendige Cookies. Darüber hinaus können Sie Cookies für eine Webanalyse zulassen, die uns die Bereitstellung unserer Dienste erleichtern. Weitere Informationen dazu, insbesondere zu der Widerrufsmöglichkeit, erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz